Die Wochenzeitung Die Zeit meinte über Yundi Lis Chopin-Debüt lapidar: “Für uns ist diese Chopin-CD ein Erkenntnisgewinn, ein Glücksfall”. Das ist jetzt zwei Jahre her und war erst der Anfang einer langen Liste von Elogen, die dem jungen chinesischen Pianisten seitdem zugedacht wurden. Nach einem Recital mit Liszt-Kompositionen widmet er sich nun abermals dem großen polnischen Romantiker. Vier Scherzi und drei Impromptus stehen auf dem Programm und dokumentieren, dass Li festen Willens ist, weiter über sich hinaus zu wachsen.
Manchmal sind es die kleinen Momente, die das Leben verändern. Yundi Li war vier Jahre alt, als er in seiner Heimatstadt Tschongking einen Straßenmusiker hörte, der ein paar Weisen zum Akkordeon vortrug. Der kleine Junge war derartig fasziniert von dem Instrument, dass er es schaffte, seine Eltern zu löchern, bis sie ihm auch eines kauften. Und er erwies sich als außergewöhnlich begabt, denn bereits ein Jahr später gewann er den ersten Preis beim städtischen Akkordeonwettbewerb für Kinder. So dauerte es nicht mehr lange, und die Möglichkeiten am Faltenbalg schienen ihm bereits zu beschränkt. Er wechselte zum Klavier und nun begannen erst die eigentlichen Probleme. Denn der Junge war einerseits außerordentlich talentiert und liebte Chopin. Auf der anderen Seite waren westliche klassische Komponisten im kommunistischen China nicht eben Priorität. Li jedoch hielt durch und wurde mit eiserner Disziplin Monat für Monat besser. Während andere Buben seines Alters sich beim Fußball die Zeit vertrieben, saß er am Klavier und übte. Mit 13 Jahren gewann er dann seinen ersten internationalen Wettbewerb, die Stravinsky International Youth Competition in Champaign Illinois. Mit 18 wurde ihm als jüngstem Preisträger in der Geschichte des Chopin-Wettbewerbs der erste Platz in Warschau (2000) zugesprochen. Seitdem geht es steil bergauf, mit prall gefülltem Tourneekalender, dem Exklusivvertrag bei der Deutschen Grammophon und der nicht nachlassenden Begeisterung für das Werk Chopins.
Tatsächlich scheint eine Art Seelenverwandtschaft zwischen dem polnischen Komponisten und seinem jungen chinesischen Adepten zu bestehen: “Er hat ein unglaubliches Form- und Feingefühl. Seine Kompositionen umweht ein Hauch von Melancholie, sogar Todessehnsucht. Ich glaube, er war ein sehr zerrissener Mensch. Empfindsamkeit und romantische Ader sind allerdings auch Eigenschaften von mir. Das war schon in meiner Kindheit so”, meint Li mit Blick auf das aktuelle Chopin-Programm. Dabei hat er nicht einmal die besonders emphatischen Mazurken, Polonaisen oder introvertierten Nocturnes ausgewählt, sondern die vier Scherzi und drei Impromptus, die zwischen 1835 und 1842 entstanden. Die Meisterschaft, mit der er sich an die Ausarbeitung der Werke macht, ist verblüffend. Sie begnügt sich nicht mit technischer Virtuosität – die ist eh längst Standard -, sondern taucht tief in die Formwelt der Kompositionen hinein. Alles wirkt zwangsläufig in seiner Stimmigkeit, die Dynamikkontraste, die subtile Färbung der Harmonien, die enorme Leichtigkeit, mit der ihm selbst haarsträubende Passagen von der Hand gehen, als hätte er sie selbst eben erst erfunden. Wahrscheinlich ist das überhaupt das Geheimnis von Yundi Lis Chopin-Kunst. Er kann sich in die Gefühls- und Gedankenwelt des Komponisten hineinfinden, als wäre sie Teil seiner eigenen Person. Dadurch entsteht eine Intensität der Interpretation, wie sie seit langem nicht mehr zu hören war.