Kaum sind ein paar Wochen ins Land gegangen, da setzt auch schon die elende Routine ein und man droht wieder im Alltagsstress zu versinken. Da kommt der Auftritt zweier Künstler, für die es keine Routine zu geben scheint, gerade recht. Wenn die Performance dann auch noch in einer Location stattfindet, die mit ihrer ebenso geräumigen wie intimen Atmosphäre über echt urbanes Flair verfügt, dann verschwinden die dunklen Wolken, die seit Wochen über der Stadt hängen, wie von selbst.
So geschehen am Dienstagabend. Die Yellow Lounge hatte ins Gretchen geladen, einem angesagten Club in Berlin-Kreuzberg. Hier hört man sonst Electronica, House, Drum’n'Bass, Glitch, Experimental und andere bebende Sounds. Am 23. Januar war die ehemalige Militärstallung mit ihrer imponierenden Gewölbedeckung von VJ Philipp Geist in warmes Licht getaucht. Entspannte Sets der DJs Cle & Terri Belle bereiteten den prall gefüllten Club auf das Konzert vor, als gegen 22:00 Uhr Kian Soltani die Bühne betritt.
Der österreichisch-persische Cellist gilt als Shootingstar der internationalen Klassikszene, und dass er diesen ‘Titel’ zurecht trägt, machte er schnell klar. Seine unfassbar innige Interpretation von Schumanns Liebeslied “Du bist wie eine Blume” ließ romantische Gefühle aufkeimen. Von dem österreichischen Pianisten Aaron Pilsan sanft begleitet, verströmte das Arrangement für Cello und Klavier ein soghaftes Gemisch aus Begeisterung, Wärme, Liebe und Sehnsucht und führte zu einer atemberaubenden Stille, die sich in der Folge immer weiter vertiefte.
“Unglaublich, wie ruhig es hier ist”, zeigte sich Soltani vom Publikum begeistert, das seinem Vortrag sichtlich bewegt folgte. Der Cellist trug an diesem Abend Highlights aus seinem Debütalbum “Home” vor, das am 9. Februar auf den Markt kommt und hochemotionales Repertoire von Schumann und Schubert bis hin zur persischen Avantgarde enthält. Dass auch zeitgenössische Musik mit romantischen Versatzstücken spielt, demonstrierte Soltani mit zwei Liedern aus dem eigens für ihn komponierten Zyklus “Persian Folk Songs” von Reza Vali.
Mit dem scheuen Liebeswerben in “The Girl From Shiraz” und der wilden Liebesekstase von “Love Drunk” verschaffte der Gewinner des diesjährigen Credit Suisse Young Artist Award den Extremen des romantischen Sehnsuchtsgefühls musikalisch Ausdruck. An die Grenzen ging auch Lisa Batiashvili, die ein Programm aus Werken von Sergei Prokofjew und Claude Debussy zusammengestellt hatte. Ihr furioser Start mit dem “Tanz der Ritter”, den neben Robbie Williams auch zahlreiche Indie-Bands wie The Smiths oder Tears for Fears adaptiert haben, gab die Richtung vor.
Ein Ausdruck energischer Modernität, konterkariert von lyrischen Passagen, dominierte den zweiten Teil des Abends, den die georgische Geigerin mit der deutsch-ukrainischen Ausnahmepianistin Milana Chernyavska bestritt. Der große Walzer aus Prokofjews Ballettmusik “Cinderella” steigerte die Lust auf Batiashvilis neues Album “Visions of Prokofiev”, das am 2. Februar in den Handel kommt. Die skurrile, seltsam unheilschwangere Strahlkraft dieses Tanzes ist so erschütternd wie faszinierend.
Das gilt nicht weniger für Debussys eigenwillige Violinsonate, deren dritten Satz Batiashvili und Chernyavska mit flirrender Energie spielten. Nach so viel Hochspannung war es am Ende wohltuend, dass der Abend mit Johan Halvorsens harmonischer “Passacaglia über ein Thema von Händel” ausklang. Denn so virtuos und bewegt Soltani und Batiashvili gemeinsam dieses Werk auch spielten, entfaltete es durch seine Transparenz doch zugleich eine erdende Wirkung und bildete deshalb einen grandiosen Schlussakkord.