Zwar lagen nur wenige Jahre zwischen der Entstehung des dritten und der beiden späten Streichquartette. Trotzdem sind sie von völlig unterschiedlichen Voraussetzungen geprägt. Die verhaltene Heiterkeit des früheren Werkes weicht einer profunden Traurigkeit der späteren, die den Komponisten aus vielfältigen Gründen ereilte. Umso reizvoller ist es für ein Weltklasse-Ensemble wie das Hagen Quartett, die Kontraste dieser Meisterstücke aus der Feder von Dmitri Schostakowitsch gegenüberzustellen, um ein wenig von der erstaunlichen Gestaltungskraft eines Klangdramatikers einzufangen, der noch immer gerne auf die Rolle des Parteikomponisten des Sozialismus reduziert wird.
Es war eine Zeit der aufkeimenden Hoffnung. Der zweite Weltkrieg war eben mit der Vernichtung des nationalsozialistischen Deutschlands und dessen Verbündeten beendet worden und für einen Moment konnte es so aussehen, als habe der Diktator Stalin nun genügend Freiräume, um sich den einst beschworenen utopischen Zielen des Sozialismus zu widmen. Dmitri Schostakowitsch wiederum hatte es mit einem beachtlichen Eiertanz zwischen Anspruch der Partei und künstlerischem Selbstverständnis geschafft, eine trotz staatlicher Inanspruchnahme integre künstlerische Persönlichkeit zu bleiben. Er war sogar beliebter denn je, schließlich hatten einige seiner Werke den Menschen in dunklen Kriegstagen Kraft gegeben. Er schrieb sein drittes Streichquartett bald nach Kriegsende im Jahr 1946 und erlaubte es sich, deutlich und stellenweise von unterschwelligem Humor durchdrungen auf die jüdisch-osteuropäische Klangtradition Bezug zu nehmen. So entstand ein im Kern heiteres Musikdokument, demgegenüber die Quartette sieben und acht aus den späten Fünfzigern wie finstere Anklagen wirken, wie Vorwürfe an sich selbst und an die Welt, den Ansprüchen der Kunst und des Lebens nicht gerecht werden zu können. In der Zwischenzeit war Schostakowitsch nämlich 1948 zunächst als “Formalist” vom russischen Komponistenverband mit dem Vorwurf diskreditiert worden, er würde gegen das Volk komponieren, und hatte zwar eine Rehabilitierung geschafft, die aber zugunsten seiner gestalterischen Offenheit erstritten worden war.
Als er sich an das siebte Quartett machte, war er außerdem durch einen anderen Schicksalsschlag getroffen worden. Seine geliebte Frau Nina (der er das Werk widmete), war gestorben, ein zweiter Eheversuch endete im Fiasko. Schostakovitch fühlte sich einsam, verlassen, ein Stimmung, die er auf die Musik übertrug. Als er nur wenige Monate später anno 1960 sein achtes Quartett beendete, war er außerdem gezwungen, als öffentliche Person in Gestalt eines Funktionärs des russischen Komponistenverbandes zu fungieren und sah keinen Ausweg mehr, den von ihm erwarteten Eintritt in die kommunistische Partei hinauszuzögern. Resultat solcher Zwänge war wiederum, wie so oft bei dem sensibel beobachtenden und reagierenden Künstler, eine Umsetzung des Zwiespalts in Klänge. Das 1981 zunächst als reine Familiengruppe in Salzburg gegründete Hagen Quartett, dem seit 1987 anstelle von Angelika Hagen der zweite Violinist Rainer Schmidt angehört, hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, im Jubiläumsjahr zum 100.Geburtstag des russischen Meisters die angedeuteten Facetten seiner Gestaltungskraft interpretatorisch nachvollziehbar zu machen. Aufgenommen im vergangenen November in der Aula der Salzburger Universität ist dem Ensemble eine erstaunliche Umsetzung gelungen, deren Feinheiten Pathos vermeiden, ohne Leidenschaft zu vergessen. Damit kommen sie Schostakowitschs Vorstellung so nahe wie möglich und verbeugen sich zugleich würdevoll vor einem Kämpfer mit sich selbst.
Weitaus leichter erscheint auf den ersten Blick die Beschäftigung mit den Streichquartetten von Wolfgang Amadeus Mozart. Als Kind seiner Zeit, beeinflusst von berühmten Kollegen wie Joseph Haydn, schuf er kammermusikalische Miniaturen, die mal von tändelnder Finesse, mal von visionärer Strenge geprägt sind. Aus Anlass des Jubiläumsjahres wird das umfangreiche Unterfangen des Hagen Quartetts, alle Quartette des Salzburger Genies zu interpretieren, in einer Box mit sieben CDs veröffentlicht. Die Aufnahmen sind längst Klassiker des Repertoires, dokumentieren in konzentrierter Form die Entwicklung sowohl eines außergewöhnlichen Kammerensembles wie auch der Musik Mozarts, die er bei aller Leichtigkeit als Konzentrat seiner kompositorischen Ideen in den Streichquartetten ausbreitete. Ein Sammlerstück zum Sonderpreis, ausführlich und kompetent kommentiert und auf gewohnt herausragendem Niveau interpretiert.