Es gibt unter den Opernarien des 19. Jahrhunderts wohl kaum eine, die ein vergleichsweises Potenzial zum “Superhit” hatte, wie die so genannte “Habanera” aus Georges Bizets Oper “Carmen”. Es ist die Auftrittsarie der Zigeunerin Carmen, mit der sie, gleich im Ersten Akt, den jungen Sergeanten Don José verwirrt. Dass eben jener sie am Ende der Oper aus Eifersucht töten wird, ist hier noch nicht absehbar, zunächst geben alle sich dieser herrlichen dunklen Arie hin. Nicht nur, dass der französische Komponist den spanisch anmutenden Stoff eines französischen Schriftstellers in spanisch anmutender Musik als Opéra Comique auf eine Pariser Bühne brachte – zu musikalischen Identifikation und Charakterisierung seiner Protagonistin verwendete er zugleich auch das Lied eines spanischen Komponisten, “El arreglito” – “Die Liebe ist ein rebellischer Vogel”.
Heute kaum noch vorstellbar, aber Bizets letzte und inzwischen beliebteste Oper hatte es zu ihrer Zeit extrem schwer. Zum einen kollidierte das Sujet mit den damaligen Moralvorstellungen der französischen Gesellschaft. Carmen – “eine ‘fille de joie’ der übelsten Sorte”, wie es in der Besprechung eines Londoner Theaterblattes hieß. Das Libretto der Oper schwelge “in abscheulichster Unmoral. Kaum erscheinen die richtigen Zigaretten rauchenden Fabrikarbeiterinnen auf der Bühne, offenbart sich auch schon Carmens böses Wesen.” Obendrein störte man sich an den “übermäßigen Hispanismen in einer französischen Oper.”
Als Peter Diamand, der damalige Direktor des Edinburgh International Festivals Teresa Berganza einlud, die “Carmen” zu singen, sträubte sie sich zuerst. Sie, die zuvor etwa die Angiolina in “Cenerentola”, die Rosina aus dem “Barbier von Sevilla” oder die Dorabella in Mozarts “Cosi fan tutte” sang, wusste, dass sie die Carmen ganz anders singen, die Stimme für diese Rolle ganz anders einsetzen musste. Sie sagt schließlich zu. Der Gestaltung ihrer Rolle als “Carmen” allerdings ging eine intensive Beschäftigung mit dieser Figur voraus. Berganza las viel von Prosper Merimée, darunter natürlich seine 1847 erschienene Novelle. Auf deren Grundlage schließlich hatten die beiden Bühnendichter Henri Meilhac und Ludovic Halévy 1875 das Libretto für Georges Bizets Oper geschrieben.
Ganz anders, als im oben beschriebene Rollenbild war die Zigeunerin Carmen für Teresa Berganza eine freie Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. Das alles, sagte sie in einem Interview, stehe in der Partitur. “Und wenn man sie so singt, wie sie angelegt ist, dann interpretiert man sie so, wie es der Komponist will.” Bei ihrem Rollendebüt als “Carmen” im August 1977 in Edinburgh, für das Berganza begeistert gefeiert wurde, standen ihr Partner wie Plácido Domingo als Don José, Mirella Freni als Micaela und Claudio Abbado zur Seite. Auf der jetzt wiederveröffentlichten Aufnahme aus dem gleichen Jahr ist wunderbar zu hören, wie sehr Berganza die Rolle der Carmen verinnerlicht hatte, wie genau sie den Intentionen Bizets zu folgen wusste. Beeindruckend, die Wirkung ihrer Belcantostimme bei der Gestaltung dieser Partie zu erleben: niemals angestrengt, in ihrem dunklen Mezzo-Klang dennoch leicht und zugleich jenen Stolz verkörpernd, der Carmen ausmacht. In Ileana Cotrubas als Micaela hat sie einen so lieblichen wie dramatischen weiblichen Gegenpart. Auch der mit großem dramatischen Schmelz singende Plácido Domingo als Don José und Sherrill Milnes als Escamillo verleihen dieser Aufnahme ihre besondere Wirkung.
Sie wurde in den Emil Berliner Studios neu remastered und erscheint – für die Freunde des audiophilen Genusses – auch als Blu-ray Audio.