Am 16. Februar 1785 beschrieb Leopold Mozart seiner Tochter eine lange beschwerliche Reise mit der Postkutsche durch Schnee und Eis von München nach Salzburg. Dort nämlich veranstaltete Wolfgang Amadeus Mozart am 11. Februar sein erstes Subskriptionskonzert in der so genannten “Mehlgrube”, einem ehemaligen Depot, das jetzt zu einem gehobenen Casino umgebaut worden war. Der Vater schrieb also: “Das Concert war unvergleichlich, das Orchester vortrefflich, außer den Synfonien sang eine Sängerin vom welschen Theater 2 Arien. dan war ein neues vortreffliches Clavier Concert vom Wolfgang, wo der Copist, da wir ankamen, noch daran abschrieb und dein Bruder das Rondeau noch nicht einmahl durchzuspielen Zeit hatte, weil er die Copiatur übersehen mußte” Die Rede ist vom Klavierkonzert Nr. 20 d-Moll, KV 466 – seit dem 19. Jahrhundert eines der meistgespielten und beliebtesten Klavierkonzerte Mozarts.
Was Wunder, dass auch Friedrich Gulda sich seiner annahm und es zusammen mit dem C-Dur-Konzert Nr. 20 KV 467, das knapp einen Monat später entstanden war – Mozart trug es am 9. März 1785 in sein “Verzeichnüss aller meiner Werke” ein – im September 1974 aufnahm. Am Pult der Wiener Philharmoniker stand mit Claudio Abbado ein Dirigent, der mit Gulda bestens harmonierte, der dem Pianisten auf dessen Weg zu Mozart folgte. In den Liner Notes zu dieser Veröffentlichung bezeichnet der Komponist und Pianist Jed Distler die beiden als “Brüder im Geiste und Weggefährten”, immerhin hatte Abbado (genau wie Martha Argerich) zu Beginn seiner Karriere einige Zeit Klavierunterricht bei Gulda genommen. Claudio Abbado, nicht zuletzt durch seine Freundschaft zu dem Komponisten Luigi Nono mit der Musiksprache der Moderne vertraut, wußte auch die Ambitionen für den Jazz und den Drang zum freien Musizieren, die in den 70er Jahren bei Gulda stark beeinflusst haben, richtig zu deuten. Anfang der Achtziger vollzog sich bei Friedrich Gulda ein Prozess kompromissloser Hinwendung zu Mozarts Werk. “Herr Mozart”, wie Gulda den Komponisten liebevoll nannte, wurde zu einem Schwerpunkt seines Wirkens.
Als umso bedeutender sind die Aufnahmen der vier Mozart-Klavierkonzerte Nos. 20, 21, 25 & 27 aus den Jahren 1974 und 1975 auf diesem Doppelalbum zu werten, die noch in die Zeit davor fielen und doch deutlich zeigen, wie intensiv Gulda sich bereits mit Mozart auseinandersetzte. Auffällig bei diesen Aufnahmen zum Beispiel sind die Tempi aller vier Konzerte – Gulda nimmt sie langsamer, formt sie aus. Die Beethoven-Kadenz etwa des Allegros aus dem d-Moll-Konzert zelebriert er geradezu, wie um auf eine Übernahme von Mozarts Vermächtnis durch Beethoven hinzuweisen. Oder der Kopfsatz des C-Dur-Konzertes KV 503, das Gulda und Abbado zusammen mit dem B-Dur-Konzert Nr. 27, KV 595 im Mai 1975 aufnahmen: nach der langen Einleitung des Allegro maestoso durch das Orchester, tritt Gulda fast beiläufig hinzu, um dann perlend und mit großem Atem die Themen zu entwickeln und dabei den Bogen bis zur ausgedehnten eigenen Kadenz zum Ende des Kopfsatzes zu spannen. Hier präsentiert er nicht nur virtuos sondern zugleich deklamierend noch einmal den musikalischen Kern des Satzes und macht dabei sein Verständnis der Musik und zugleich sein Verhältnis zu Mozart deutlich.
Für die jetzt vorliegende Wiederveröffentlichung dieses Katalogklassikers wurden die Aufnahmen, die damals im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins entstanden, in den Emil Berliner Studios vollständig neu remastert, wobei man auf die originalen Multitrack-Bänder zurückgriff. Es gehört mittlerweile schon zum Standard der Deutschen Grammophon, solche Schwerpunktthemen auch als audiovisuelles Album zu veröffentlichen. Die Alben werden auch für Streaming und Download im neuen Remastering bereitgestellt. Darüberhinaus gibt es anlässlich des 90. Geburtstags von Friedrich Gulda eine “Essentials”-Compilation, die einen guten Überblick über das pianistische Werk Guldas verschafft.
Um noch mal auf den eingangs zitierten Brief Leopold Mozarts zurückzukommen – er enthält auch die Beschreibung einer denkwürdigen Begegnung zwischen ihm und Joseph Haydn am darauffolgenden Tage. “Haydn sagte mir: ‘ich sage ihnen vor gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der größte Componist den ich von Person und den Nahmen nach kenne: er hat geschmack und über das die größte Compositionswissenschaft.’” Gulda übrigens starb, just auf den Tag genau, 244 Jahre später, am Tag, an dem Mozart geboren wurde. Am 16. Mai 2020 hätte Friedrich Gulda seinen 90. Geburtstag gefeiert.