Er war einer der eigenwilligsten Pianisten des 20. Jahrhunderts. Immer in Tuchfühlung mit seinem Publikum, das er direkt anzusprechen pflegte, liebte er den unkonventionellen Auftritt, gab sich ein wenig exzentrisch und war doch zugleich ein wohltuend bodenständiger Künstler, der um seine genialen Fähigkeiten kein großes Aufhebens machte.
Und so spielte er auch Klavier: unkonventionell, wild und dabei doch gar nicht abgehoben. Gulda machte kein Geheimnis daraus, dass er Begeisterung auslösen wollte. Er wollte sein Publikum mitreißen, es in sein Spiel hineinziehen, es zum Tanzen bringen, und das gelang ihm wie kaum einem zweiten Pianisten. Wenn er die Bühne betrat, war der Saal sofort mit Leben gefüllt. Sobald er die ersten Töne angeschlagen hatte, geriet das Publikum in den Sog seiner ebenso lebhaften wie einfühlsamen Spielkunst. Dazu brauchte er keine Allüre. Dazu musste er nur er selbst sein: Gulda, der eben ein wenig spontaner war als andere und dies unverkrampft zum Ausdruck brachte. Er setzte sich einfach ans Klavier und spielte. Das war für den österreichischen Pianisten und Komponisten, der auch den Jazz und die kühne Improvisation liebte, das natürlichste von der Welt.
Kommt ein solch vitaler Bühnenkünstler auf Tonträgern zur Geltung? Und ob! Das beweist jedenfalls die soeben erschienene Edition der Mozart-Aufnahmen Friedrich Guldas, die seinen tänzerischen Furor jetzt neu aufleben lässt. Sosehr die Begeisterung für einen Künstler von seiner Anwesenheit als Person, seiner Ausstrahlung abhängt – das Besondere an einem großen Pianisten wie Friedrich Gulda bleibt, dass er bestimmte Facetten seiner Persönlichkeit allein im Klavierspiel mitzuteilen weiß. Und dafür stehen Guldas Mozart-Aufnahmen, in denen sich seine Freude am Spiel und am Bühnenauftritt auf seltsam direkte Weise mitteilt. Wenn man diese Aufnahmen, die einen Zeitraum von fünf Jahrzehnten (1948–1999) umspannen, jetzt hört, dann ist es, als ob man selbst im Konzertsaal sitzt. Guldas Spiel bewahrt den Charakter einer Live-Performance, und das passt großartig zu der Musik seines großen Helden: Wolfgang Amadeus Mozart.
Seit fast 225 Jahren ist der große Komponist der Wiener Klassik tot. Doch hört man ein paar Takte von ihm, dann erwacht seine Musik sofort zu neuem Leben, und es ist, als habe er nie aufgehört zu spielen. So verhält es sich auch mit Friedrich Gulda, der am 27. Januar 2000 verstarb, an Mozarts Geburtstag. Seine Interpretationskunst ist so lebendig, dass man sich sofort einen Menschen am Klavier vorstellt, ganz gleich, ob man Gulda jemals live erlebt hat oder nicht. Die öffentliche Vitalität von Mozarts Musik, die stets ein gesellschaftliches Ereignis war, teilt sich in dem “pulsierenden Swing von Guldas Mozart-Architekturen” (Stereoplay) kongenial mit. Dabei leidet die Intimität, das private, poetische Moment kein bisschen. Wenn Gulda zum Beispiel das Klavierkonzert in d-Moll (K. 466) spielt, dann ist er ganz bei sich selbst. Zugleich kommuniziert er mit seinem Orchester und seinen Hörern, und das macht die jetzt erschienene Edition zu einer echten Begegnung mit Friedrich Gulda – und Wolfgang Amadeus Mozart.
Die Edition umfasst 10 CDs. Sie ist zentriert um Guldas Aufnahmen der Klaviersonaten und Klavierkonzerte. Zwei zusätzliche Klangperlen sind die romantisch vorausweisende Fantasia in c-Moll (K. 475) und das quicklebendige Rondo in D-Dur (K. 485). Insgesamt enthält die Ausgabe – bei etlichen Doppelt- und einer Dreifach-Einspielung – 16 Klaviersonaten und 7 Klavierkonzerte “des Meisters aller Meister”. Darunter die legendären Mozart-Tapes (CDs 1–5) – von Gulda selbst angefertigte und von seinem Label restaurierte Aufnahmen – sowie die unübertroffenen Aufnahmen von Mozart-Klavierkonzerten mit Claudio Abbado und den Wiener Philharmonikern. Abgerundet wird die schöne Edition mit einem kenntnisreichen Essay Paul Guldas, Friedrichs Sohn, der die Geschichte der Aufnahmen unterhaltsam nachzeichnet.