Max Richter reitet weiter. Der in Berlin lebende Komponist zahlreicher preisgekrönter Soundtracks veröffentlicht die Musik von Scott Coopers neuem beeindruckendem Western “Hostiles”. Nach Filmen unterschiedlichster Couleur: Kriegsdramen (“Waltz with Bashir”), Historienfilmen (“Lore”, “Henry May Long”), Dokus (“Listen To Me Marlon”) und Serien (“The Leftovers”, “Black Mirror”, “Taboo”) ist dies Richters erster Soundtrack im Western-Genre, auf dem er – entsprechend – stilistisches Neuland erschließt.
Gedreht in New Mexiko und Colorado, erzählt “Hostiles” eine Geschichte von blindem Hass, aus dem Verständnis und Empathie hervorgehen – ein bisschen wie bei “Der mit dem Wolf tanzt”, ohne die Predigt, kommentierte Entertainment Weekly. Der Film zeigt den Kavallerie-Hauptmann Joseph Blocker (Christian Bale), der einen von ihm gefangenen Cheyenne-Häuptling (Wes Studi) von einem Fort im staubigen Niemandsland Neu-Mexikos nach Montana bringt. Auf dem Weg treffen sie Rosalee Quaid (Rosamund Pike), die sich ihnen anschließt: eine allein stehende, traumatisierte Frau, deren Familie bei einem Indianerangriff getötet wurde. Während diese drei zerbrochenen Charaktere ihre Reise durch die widrige Westernwelt fortsetzen, kommen sie emotional einander näher.
In den letzten Jahren hatten die Studiobosse in Hollywood beim Stichwort Western abgewinkt und lieber ein weiteres Superhelden-Epos produziert: Es gäbe nichts Neues im Western zu erzählen. Das einst ikonische Genre sei ausgereizt, Kult-Westerns wie John Fords “Schwarzer Falke” mit John Wayne wären nicht mehr zu toppen, so der Konsens, schilderte unlängst das Film-Magazin Tracking-Board.com. In der Trump-Ära erlebt der Western nun eine Renaissance. Die Western-typischen Themen von Konfrontation verschiedener Kulturen, von Besitzergreifung, Gier, Gewalt und Verletzlichkeit sprechen die gegenwärtigen Gefühle vieler Menschen wieder an. Ganz zentral wirken neben den überwältigen Panoramabildern Coopers die viszeralen Klangbilder Richters in “Hostiles”.
Richter zieht in seiner Musik von “Hostiles” alle möglichen und damit auch ganz neue Register: Dunkle Pauken, untergründige Bässe, düstere Cluster wühlen den Hörer auf. Jähe Crescendi, klaffende Abgründe, höhlenartige Hallräume, Oberton-Spektren und klangliche Leuchtfeuer halten die Spannung. Der für Grammys und Emmys nominierte Neo-Klassiker hat seinen Hang zu elegischen Streichern hier in die Tiefe, zum Kontrabass verlagert. Brillant gelingt es Richter dabei mit seiner eigenen Arbeitsweise identisch zu bleiben. Wo der Drehbuchautor/Regisseur Cooper im Film alle möglichen Kult-Momente des Genres zitiert (wie auch letztes Jahr Quentin Tarantino in “The Hateful 8” mit der Musik Ennio Morricones), bleibt Richter ganz bei sich. Sofort erkennt man seine kompositorische Handschrift in “A Woman Alone” (Reprise: “The Lord´s Rough Ways”). Seine Affinität zur Musik Arvo Pärts scheint durch “Something To Give”. Mit Fiedel und Gitarre begleitet singt rau und herzergreifend der Americana-Star Ryan Bingham den Song “How Shall a Sparrow Fly”.
Bei aller Brutalität (FSK: ab 18) sei “Hostiles” “elegant gemacht”, befindet die New York Times. Die bildstarke Inszenierung und der “muskuläre, klassische” Score ergänzen einander perfekt. Intelligent und ehrlich versuche der Film gar nicht erst, das Genre neu zu erfinden. Indes Richter, der parallel im Januar sein neues Album “Three Worlds: Music from the Woolf Works” herausbringt (Radio 6 der BBC wählte das Ballett-Opus bereits zum Album des Jahres!), hat hier in seinem Gesamtwerk einen neuen strahlenden dramatischen Akzent gesetzt.