Donnerwetter: Florian Henckel von Donnersmarck ist zurück! Über ein Jahr hat der gefeierte Filmemacher (Das Leben der Anderen) an seinem neuen Kinowerk gefeilt, mit Erfolg: nach einer umjubelten Premiere im September 2018 in Venedig, wurde “Werk ohne Autor” bereits für einen Oscar nominiert, es wäre sein zweiter. Im “Leben der Anderen” orientierte Henckel von Donnersmarck sich lose an der Biografie des Liedermachers Wolf Biermann. Seine jüngste Regie-Arbeit hat er am Leben des Malers, Bildhauers und Fotografen Gerhard Richter aufgehängt. Mit viel Fantasie fiktionalisiert er es zu einem drei Dekaden umspannenden deutschen Epos, das zwischen Historienfilm und Psycho-Thriller changiert. “Werk ohne Autor” (englischer Titel “Never Look Away”) ist ein mitreißender Film über die Kraft der Kunst, der “so wunderbar und hemmungslos großgedacht ist, wie man es im deutschen Kino nur ganz, ganz selten erlebt”(Filmstarts.de).
Groß gedacht ist auch Max Richters Filmmusik, die nun in verschiedenen digitalen Formaten erschienen ist. Sie gibt dem dreistündigen Drama eine strahlende Wärme und rührt den Hörer mit tiefer Emotionalität. Henckel von Donnersmarcks grandiose großformatige Filmsets mit Tausenden Komparsen untermalt der Neo-Klassiker mit ungestüm voranschreitenden Tempi und crescendierenden Streichern.
Die im Film gezeigten familiären Verwicklungen verwebt er in hypnotischen Ornamenten und Patterns. Wenn sein Namensvetter Richter (im Film heißt er Kurt Barnert) nur Monate vorm Mauerbau in den Westen flieht, schichtet Richter Klangwände übereinander, lässt Geigen aufseufzen und Blechbläser dröhnen. Die Befreiung verlautmalt er mit strahlenden Violinen und glockenhellen Flöten. Doch die Leichtigkeit dauert nicht lang, wird gläsern und zerbrechlich, mündet ins Psychotische, Tumultöse, Krimi-artige, in den klagenden Absturz.
Richter-Fans erkennen sofort seine kompositorische Handschrift: Richters prägnante Piano-Motive, seine Ozeane von Streichern und die so wunderbar aufleuchtenden Momente. Überflüssig zu betonen, dass seine Musik ohne den Film wirkt, indes kann man sich mit ihr erstaunlich in den Sturm und Drang des fiktional porträtierten Gerhard Richters einfühlen, ins Drama einer Zeitenwende mit starker gesellschaftlicher Polarisierung und Spaltung, so wie sie auch heute – unter ganz anderen Vorzeichen – stattfindet.
Wie schon sein Soundtrack des Westerns “Hostiles” (2018), ist auch Richters Filmscore von Werk ohne Autor also nichts zum gemütlichen Einschlafen, dafür hat der preisgekrönte Komponist ja bereits sein Langwerk “Sleep” vorgelegt. Nach seinen Arbeiten zu Filmen unterschiedlichster Couleur: Kriegsdramen (Waltz with Bashir), Dokus (Listen To Me, Marlon) und Serien (The Leftovers, Black Mirror, Taboo), ist Richter hier wieder zum Historienfilm zurückgekehrt, knüpft an seine Scores von Lore und Henry May Long an.
Als unermüdlicher Schöpfer hat der 52-Jährige gerade auch noch den Soundtrack zum Film “White Boy Rick” veröffentlicht, der seit September digital und physisch verfügbar ist. Das Komponieren sei für ihn schon ein wenig zwanghaft, er würde jede Minute damit verbringen, sagte Richter unlängst dem Magazin 15-questions.net. Die größte Herausforderung sei für ihn dabei, dem Material zu folgen, egal, wo es hingehen möchte, es sei ein quasi archäologischer Prozess. Henckel von Donnersmarck ließ in seiner Regie der Geschichte freien Lauf, das macht den Film bei aller Länge und Heftigkeit so großartig. Kongenial, verschwindet auch Richter hinter den emotional aufgeladenen, anrührenden Klangskulpturen seines jüngsten Oeuvres. Womöglich haben sie den Titel: “Werk ohne Autor” wörtlich genommen.