Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ steht am Wendepunkt zum Spätwerk des Komponisten. Es entstand in einer schweren Zeit, im Sommer 1907 im Tiroler Schluderbach. Kurz zuvor war Mahlers ältere Tochter, kaum vier Jahre alt, gestorben und er selbst befand sich in beklagenswertem gesundheitlichem Zustand, herzkrank, psychisch mitgenommen. In dieser Verfassung sprachen ihm die Nachdichtungen chinesischer Lyrik, die Hans Bethge unter dem Titel „Die Chinesische Flöte“ herausgegeben hatte, aus der Seele. Mahler ließ sich inspirieren, es entstand neben Skizzen zu seiner neunten Sinfonie die orchestrale Dichtung „Das Lied von der Erde“. Es war ein Werk, das die Zeitgenossen verunsicherte. Der Dirigent Bruno Walter, ein enger Freund und musikalischer Vertrauter des Komponisten, formulierte es mit Verwunderung: „Ist es wirklich derselbe Mensch, der ‚in Harmonie mit dem Unendlichen’ den Bau der Achten errichtet hatte, den wir nun im ‚Trinklied vom Jammer der Erde’ wiederfinden? Der einsam im Herbst zur trauten Ruhestätte schleicht, nach Erquickung lechzend? […] Es ist kaum derselbe Mensch und Komponist. Alle Werke bis dahin waren aus dem Gefühl des Lebens entstanden […] Die Erde ist im Entschwinden, eine andere Luft weht herein, ein anderes Licht leuchtet darüber“.
Trotz seiner Skepsis dirigierte Bruno Walter das „Lied von der Erde“ über Jahrzehnte hinweg mit wachsender Intensität. Und auch jüngere Maestros fühlten sich zu dem schwermütigen Werk hingezogen. Josef Krips, einer der wichtigsten österreichischen Dirigenten der Nachkriegszeit, der bereits bei der Wiedereröffnung der Salzburger Festspiele am Pult gestanden war, hatte sich beispielsweise für die Wiener Festwochen 1964 etwas Besonderes ausgedacht. Er wollte das „Lied von der Erde“ mit dem Tenor Fritz Wunderlich und Bariton Dietrich Fischer-Dieskau besetzen. Das war seinerzeit eine kleine Sensation, war es doch üblich, die Solopartien von einer Frauen- und einer Männerstimme singen zu lassen. Die Aufführung am 14. Juni 1964 im ausverkauften Wiener Musikverein aber wurde ein Triumph. Die Presse jubelte mit Elogen wie „Schöner kann’s nicht mehr gesungen, gespielt, dirigiert werden“ oder „Der Trunk des Abschieds berauschte“ und das Publikum schenkten den Künstlern tosenden Applaus.
Die Aufnahmen, die der ORF damals mitgeschnitten hatte, gingen allerdings verloren, bevor daraus eine Langspielplatte gemacht werden konnte, und so existierten bislang nur verrauschte Kopien in zweifelhafter Tonqualität. Vor kurzem aber tauchte ist ein bis dato unbekanntes und nie veröffentlichtes Masterband aus dem Privatbesitz der Familie des Dirigenten Josef Krips auf, eine direkte Kopie des längst nicht mehr existenten ORF-Originalbandes. Mit beträchtlichem Aufwand konnte dieses Tondokument in den Emil Berliner-Studios in Berlin restauriert werden, so dass ein legendäres Konzert nun erstmals in einer Klangqualität zu erleben ist, die die Euphorie der Zeitzeugen der Wiener Aufführung nachvollziehbar macht. Denn das Solisten-Team aus Fritz Wunderlich und Dietrich-Fischer-Dieskau entlockte der Musik bislang ungeahnte Tiefe und Bedeutung, die jetzt pünktlich zum Mahler-Jahr 2011 zu bewundern ist. Die Edition des „Lieds von der Erde“ wird außerdem durch ein umfassendes Booklet abgerundet, das neben Erinnerungen von Dietrich Fischer-Dieskau und Harietta Krips, der Witwe des Dirigenten, auch Ausschnitte aus dem originalen Konzertprogramm, sowie die vollständigen gesungenen Texte beinhaltet. Eine wichtige, wegweisende Aufnahme.