Arvo Pärt geht es um Grundlegendes. Mit „Tabula Rasa" begann vor einem Vierteljahrhundert sein zweites musikalisches Leben, das mit „In Principio" nun seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Vier Ersteinspielungen und zwei zum Teil umfassend veränderte Wiederaufnahmen wie die Orchesterfassung der Orgelkomposition „Mein Weg" umfasst das neue Album. Die Themen umkreisen Ausgangsfragen menschlicher Spiritualität, aus christlicher wie auch allgemein humanistischer Perspektive. Und sie führen den Hörer immer wieder zu sich selbst zurück, zu den Urgründen der eigenen natürlichen Kraft, die durch Pärts enigmatische, bewegende Musik erreicht werden können.
Es ist auch eine Geschichte von Gemeinsamkeiten. Anfang der Achtzigerjahre zog der bei der russischen Kulturführung in Ungnade gefallene estnische Komponist Arvo Pärt als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach Berlin. Die damals noch geteilte Stadt mit ihren Widersprüchen wurde ihm zur zweiten Heimat und der Kontakt zu dem von München aus weltweit tätigen Label ECM erwies sich als ungemein fruchtbar. Anno 1984 veröffentliche Pärt sein internationales Debüt „Tabula Rasa" und markierte damit zugleich den Start von ECM New Series, das als Label für zeitgenössische und zeitgemäße klassische Musik fortan zur Autorität in Fragen sparten- und grenzüberschreitender Klanggestaltung avancierte.
Ein Vierteljahrhundert später nun stellt Arvo Pärt sein elftes Album für ECM New Series vor. „In Principio" ist ein Programm aus sechs Vokal- und Orchesterkompositionen, die zwischen Mai 2007 und Juni 2008 in Tallinn in der Estonia Concert Hall und der Niguliste Church aufgenommen wurden. Pärt zur Seite standen neben dem Produzenten Manfred Eicher der Estonian Philharmonic Chamber Choir und das Tallinn Chamber Orchestra unter der Leitung ihres Gründers Tônu Kaljuste, außerdem das Estonian National Symphony Orchestra, das zuletzt 2007 mit Erkki-Sven Tüürs “Oxymoron” auf ECM New Series zu erleben war.
Die fünfsätzige Titelkomposition “In Principio” für gemischen Chor und Orchester (2003) basiert auf einem lateinischen Text aus dem Johannes-Evangelium, Kapitel1, Vers 1–14, der grundlegenden und einleitenden Meditation über das Wesen Gottes und des christlichen Glaubens. “La Sindone” für Orchester (2002) nimmt eine Bibelstelle aus dem Markus-Evangelium zum Thema (Kapitel 15, Vers 46), in der das Grabtuch Christi beschrieben wird, dessen Reliquie sich seit 1578 im Dom von Turin befindet und dessen Geschichte bis heute den Menschen Rätsel aufgibt. “Cecilia, vergine romana” für gemischten Chor und Orchester (2000/2002) geht zurück auf einen Text im lateinischen Breviarium Romanum des Priesterseminars Graz. Ihm zugrunde liegt die Legende der Heiligen Cecilia, der Schutzpatronin der (geistlichen) Musik, die in historischer Gestalt als vermögende Römerin im dritten nachchristlichen Jahrhundert für ihren Glauben den Märtyrertod starb.
Auch die übrigen drei Kompositionen haben in unterschiedlicher Direktheit mit christlichen Glaubensfragen zu tun. “Da pacem Domine” für gemischten Chor und Orchester entstand 2004 unmittelbar im Anschluss an die Bombenexplosionen von Madrid als persönlicher Tribut des Komponisten an die Opfer des Anschlags und wird seitdem alljährlich zum Gedenken an die Toten dieses Terroraktes in Spanien aufgeführt. “Mein Weg” (1989) war ursprünglich eine Orgelkomposition, erklingt nun aber in einer überarbeiteten Version für 14 Streicher und Perkussion. “Für Lennart in memoriam” für Streichorchester schließlich ist ein musikalischer Nekrolog auf Lennart Meri (1929 – 2006), den zweiten gewählten Präsidenten der Republik Estland (1992–2001), und wurde von ihm noch persönlich beim Komponisten in Auftrag gegeben. So reicht das inhaltliche Spektrum vom Anfang der Dinge bis zum Nachwort des Menschlichen und “lässt Raum für den natürlichen Atem”, wie der Musikwissenschaftler und Journalist Wolfgang Sandner in den Booklet-Anmerkungen zu “In Principio” abschließend feststellt.
Mehr Informationen zu arvo Pärt finden Sie auf seiner Künstlerseite bei KlassikAkzente