Martha Argerich und Seiji Ozawa haben sich zeitlebens ihre Neugierde bewahrt. Jetzt führen der japanische Dirigent und die argentinische Pianistin eindrucksvoll vor, was Aufbruch, Glaube an die Zukunft in der Musik bedeuten.
Dass die Kunst jung hält, reicht als Erklärung nicht aus. Man braucht schon eine persönliche Mitgift, wenn man nach einer jahrzehntelangen Weltkarriere noch so viel Energie und Leidenschaft verströmt wie Martha Argerich und Seiji Ozawa. Den beiden ist offenbar ein Geschenk zuteilgeworden, und sie möchten es mit ihrem Publikum teilen. Dazu haben sie sich diesmal zusammengetan, um ihr erstes gemeinsames Album aufzunehmen.
In Japan ist es bereits erschienen und stürmte postwendend an die Spitze der dortigen Klassik-Charts. Ab sofort ist es auch hierzulande erhältlich, und wer es hört, der erlebt mitreißende Orchester- und Klavierklänge. Martha Argerich, die Löwin am Klavier, und Seiji Ozawa, der empfindsame Grandseigneur am Pult, konzentrieren sich in ihrem gemeinsamen Projekt auf Frühwerke von Ludwig van Beethoven.
Das Album vereint die Sinfonie Nr. 1 in C-Dur und das Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur, Werke von sprühendem Optimismus, mit denen Beethoven seine ersten Duftmarken setzte. Damals stand der Rebell noch mit einem Bein in der Tradition, zehrte von Haydn und dessen klar konturierter Klangsprache. Seine schwermütigen Neigungen waren noch nicht voll ausgeprägt. Allerdings war schon spürbar, dass er ein vulkanisches Temperament hat.
Das Anfangsstadium seines Schaffens ist umso reizvoller, als seine Impulsivität hier noch von positiver Energie dominiert ist. Beethoven glaubte an die Zukunft. Die Französische Revolution hatte die Verhältnisse zum Tanzen gebracht, und in dem selbstbewussten Künstler reifte allmählich der Gedanke, dass er die Begleitmusik zum Aufklärungszeitalter zu komponieren hat.
Argerich und Ozawa durchdringen diesen Geist des Aufbruchs. Sie verstehen, was es heißt, auf die Zukunft zu vertrauen – was der Glaube, Berge zu versetzen, bewirken kann. Um diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen, schmiegen sie sich ganz ihrer quasi-jugendlichen Vitalität an. Dabei dürfen sie auf einen Ort zählen, an dem diese Energie verstanden wird, ein Ort, an dem Fortschritt keine Angst macht, sondern schöpferische Kräfte freisetzt.
Dieser Ort heißt Mito und ist eine Universitätsstadt knapp 140 Kilometer nordöstlich von Tokio. In dem dortigen “Art Tower”, einem 100 Meter hohen, spiralförmigen Turm mit einer Fassade aus stählernen Dreiecken, ist das Mito Chamber Orchestra beherbergt, ein junger, euphorischer Klangkörper, der beinahe genauso klingt, wie das hochmoderne Gebäude anmutet: schlank, visionär, himmelstürmend.
Besser kann es für Beethoven im 21. Jahrhundert nicht laufen, und Martha Argerich weiß diese moderne Klangatmosphäre denn auch zu schätzen. Sie reagiert entfesselt auf das ebenso klare wie bebende Klangbild des Mito Chamber Orchestra, wodurch das Klavierkonzert Nr. 1 zu einem musikalischen Höhenflug wird. Die Sinfonie Nr. 1 klingt nicht minder kraftvoll. Seiji Ozawa verliert Beethovens bebende Euphorie nie aus dem Blick.