Als Renaud Capuçon und Martha Argerich am 23. April 2022 im Grand Théâtre de Provence die Konzertbühne verließen, war allen Beteiligten klar, dass sie einem ungewöhnlichen Ereignis beigewohnt hatten. “Es war ein Abend von überlegen brillantem Musizieren”, so der Telegraph aus London. Argerich und Capuçon hatten sich in der Form ihres Lebens gezeigt. Der Auftritt des französischen Stargeigers mit der argentinischen Grande Dame der Klavierkunst geriet zu einem musikalischen Feuerwerk, das beinahe alle Farben, Stimmungen und funkensprühenden Ideen, die in den von ihnen dargebotenen Violinsonaten von Beethoven, Schumann und Franck schlummerten, zum Vorschein brachte.
Argerich und Capuçon, die seit zwanzig Jahren als Duo auftreten, hatten sich perfekt auf sie zugeschnittenes Repertoire erwählt. Sie waren in einer Stadt aufgetreten, die im Frühjahr einen unwiderstehlichen Charme versprüht, und dazu kam, dass sie sich eines glücklichen Augenblicks erfreuen konnten, in dem wie von selbst alles gelang.
Das Konzert fand im Rahmen des Osterfestivals in der südfranzösischen Universitätsstadt Aix-en-Provence statt. Capuçon hat das “Festival de Pâques”, wie es auf Französisch heißt, vor knapp zehn Jahren ins Leben gerufen. Er leitet es gemeinsam mit dem Direktor des Grand Théâtre de Provence in Aix, Dominique Bluzet, der an der Gründung des jährlich stattfindenden Events beteiligt war und in dessen Haus viele Konzerte des attraktiven Festivals stattfinden.
Aix verströmt im Frühjahr eine ansteckende Aufbruchstimmung. Viele junge Leute bevölkern die Straßen, die mit ihren bunten Häusern und niedlichen Cafés zum Schauen und Verweilen einladen. Der blühende Flieder auf den Feldern rings um die Stadt gemahnt an Cézanne, der aus Aix stammte und den mediterranen Frühling wie kein anderer malerisch einzufangen wusste. Es sei ein “perfekter Ort” für ein Festival, so Capuçon gegenüber dem Musikmagazin concerti. Aix sei “wunderschön und das Wetter bereits an Ostern warm und sonnig”.
Als wollten sie den provenzalischen Frühling mitnehmen, spielten sich Argerich und Capuçon an jenem Abend des 23. April 2022 in einen regelrechten Rausch. Dabei lagen Aufbruch und Abschied in ihrem Konzert nah beieinander. Das Duo hatte sein Recital einem gemeinsamen Freund gewidmet, dem US-amerikanischen Pianisten Nicholas Angelich, der wenige Tage zuvor einem schweren Lungenleiden erlegen war. Für ihn spielten sie, und das spürte man vor allem in Francks nachdenklich stimmender Violinsonate in A-Dur (FWV 8) und in den melancholischen Passagen von Schumanns Violinsonate Nr. 1 in a-Moll (op. 105).
Dagegen schien in Beethovens Kreutzer-Sonate der provenzalische Frühling durchzubrechen, so furios, so blühend und prachtvoll erstrahlte sie. Argerich und Capuçon spielen Beethovens Violinsonate Nr. 9 in A-Dur (op. 47) erst seit zwei Jahren. “Seitdem machen wir aus der ‘Kreutzer-Sonate’ jedes Mal ein Feuerwerk”, so Capuçon im Interview zum grandiosen Live-Album.