Eine außergewöhnliche Musikalität, seine technische Meisterschaft und das geistige Durchdringen eines Themas zeichnen die Kunst von Renaud Capuçon aus. Höchst gegensätzliche Adjektive können sein Geigenspiel beschreiben – sensibel und kraftvoll, elegant und selbstsicher, hochgestimmt und ernst. Immer aber ist es gekennzeichnet durch Lyrismus und Virtuosität, wobei Capuçon mithilfe der sanglichen Qualitäten seines Instruments eine bemerkenswerte Vielfalt an Klangfarben und Timbres hervorbringt. 2024 wurde er bei den International Classical Music Awards zum Künstler des Jahres ernannt: »Als Künstler, der sich in bürgerlichen und sozialen Belangen engagiert, gehört der Geiger und Dirigent Renaud Capuçon zu den größten lebenden Musikern«, urteilte die Jury.
Im September 2022 kündigte Deutsche Grammophon den Start einer neuartigen künstlerischen Partnerschaft mit Renaud Capuçon an. Die Initiative wird über mehrere Jahre eine Reihe von Projekten mit Audio- und audiovisuellen Veröffentlichungen herausbringen. Die Aufnahmen entstehen aus der Arbeit des Geigers mit jungen Interpreten und Komponisten; sie werden von einer eigenen Gesellschaft produziert, an der Capuçon beteiligt ist, und erscheinen bei DG.
Zum Auftakt der Zusammenarbeit erschien im November 2022 ein Album mit Sonaten von Schumann, Beethoven und Franck, das bei einem Konzert mit Martha Argerich während der Osterfestspiele von Aix-en-Provence im April des Jahres aufgenommen wurde und dem Andenken ihres Freundes und Pianistenkollegen Nicholas Angelich gewidmet ist. 2023 schloss sich dann ein umfassendes Mozart-Projekt an: Mit dem Pianisten Kit Armstrong hat Renaud Capuçon die 16 reifen Violinsonaten eingespielt, das 4-CD-Album kam im Juni heraus. Im September wurden sämtliche Violinkonzerte mit dem Orchestre de Chambre de Lausanne veröffentlicht, und im November folgte Mozart: The Piano Quartets, eingespielt mit drei seiner Mentees; es weiht »Beau Soir«, sein neues Imprint bei DG, ein.
Anlässlich des hundertsten Todestages von Gabriel Fauré brachte Capuçon, wiederum mit dem Orchestre de Chambre de Lausanne, im Juni 2024 ein Album heraus, auf dem neben anderen Werken das Violinkonzert, Masques et Bergamasques, die Élégie op. 24 (mit der Cellistin Julia Hagen) und die Ballade op. 19 (mit dem Pianisten Guillaume Bellom) versammelt sind – für das BBC Music Magazine eine »einfühlsame und exzellent gespielte Auswahl«.
Sein jüngstes Album ist eine Hommage an einen seiner Lieblingskomponisten, Richard Strauss. Neben Kammermusik wie der Violinsonate, dem Klavierquartett, dem Sextett aus Capriccio und der Fassung für Streichseptett der Metamorphosen spielt Capuçon das Violinkonzert mit den Wiener Symphonikern unter Petr Popelka und es ist eine Aufführung von Ein Heldenleben aus dem Jahr 2000 zu hören, in der Seiji Ozawa das Gustav Mahler Jugendorchester leitet mit dem jungen Capuçon als Konzertmeister. Richard Strauss erscheint digital und auf 3 CDs am 31. Januar 2025.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist Renaud Capuçon gern gesehener Gast in den internationalen Konzertsälen und viel gefragt für Konzerte, Kammermusik und Recitals. Dabei ist er mit zahlreichen Spitzenorchestern aufgetreten: Berliner Philharmoniker, Wiener Philharmoniker, Chamber Orchestra of Europe, Filarmonica della Scala, Boston Symphony Orchestra, London Symphony Orchestra, New York Philharmonic Orchestra, Orchestre de Paris, Orchestre National de France und Orchestre Philharmonique de Radio France.
Er entwickelte intensive künstlerische Beziehungen zu Dirigenten wie Daniel Barenboim, Gustavo Dudamel, Daniel Harding, Andris Nelsons und Yannick Nézet-Séguin, und ist zudem ein gefeierter Kammermusiker, nicht zuletzt für seine Darbietungen mit Martha Argerich, Daniel Barenboim, Hélène Grimaud, Maria João Pires, Daniil Trifonov, Yuja Wang und seinem Bruder, dem Cellisten Gautier Capuçon. Das breite Spektrum seiner Arbeit spiegelt sich in seiner Diskografie, die außer dem traditionellen Konzert- und Kammermusik-Repertoire auch zeitgenössische Werke von Arvo Pärt, Henri Dutilleux, Karol Beffa, Bruno Mantovani, Wolfgang Rihm und Pascal Dusapin sowie klassische Filmmusiken umfasst.
Neben seiner Arbeit im Konzertsaal wirkt Renaud Capuçon auch als engagierter Lehrer für überragende junger Talente, 2014 wurde er zum Professor an der Haute Ecole de Musique et Conservatoire de Lausanne berufen. Darüber hinaus ist er künstlerischer Direktor der Osterfestspiele von Aix-en-Provence (die er 2013 gründete), der Festspiele Sommets Musicaux de Gstaad (seit 2016), des Orchestre de Chambre de Lausanne (seit 2021) und Évians Rencontres Musicales Festival (seit 2023). Seit 2020 ist er UNESCO-Künstler für den Frieden.
2019 gab Capuçon eine Reihe von Konzerten an sechs französischen Kathedralen, um Mittel für den Wiederaufbau von Notre-Dame de Paris zu beschaffen, und im April 2020 spielte er Werke für Solovioline im Rahmen eines kleinen Karfreitags-Gottesdienstes in dem ausgebrannten Gebäude. Am 7. Dezember 2024 trat er mit seinem Bruder Gautier im Rahmen der Feierlichkeiten zur Wiedereröffnung der restaurierten Kathedrale auf.
Renaud Capuçon wurde am 27. Januar 1976 in Chambéry in Ostfrankreich geboren, am selben Tag wie Mozart 220 Jahre zuvor. Mit vier Jahren erhielt er ersten Geigenunterricht und zehn Jahre darauf trat er ins Pariser Conservatoire ein, bevor er dann nach Berlin ging, um bei Thomas Brandis und Isaac Stern zu studieren. Zu den wichtigen Erfahrungen am Beginn seiner Karriere gehörten das Amt des Konzertmeisters im Gustav Mahler Jugendorchester unter Leitung von Claudio Abbado und die Arbeit als künstlerischer Direktor des Festivals Les Rencontres artistiques de musique de chambre de Bel-Air, das er 1996 gründete. 2011 ernannte die französische Regierung ihn zum Ritter des Nationalen Verdienstordens und fünf Jahre später zum Ritter der Ehrenlegion. Er spielt die Guarneri del Gesù »Panette« aus dem Jahr 1737, ehemals Eigentum von Isaac Stern.
12/2024