Hélène Grimaud ist die Philosophin unter den Pianistinnen ihrer Generation. Es geht ihr nicht vorrangig um die spieltechnische Perfektion einer Interpretation, denn die ist längst Voraussetzung für zeitgemäßes Künstlertum. Grimaud fragt nach dem Sinn unter der Oberfläche der Erscheinung, nach den Zusammenhängen hinter dem Offensichtlichen und das macht ihre Interpretationen, egal ob sie sich wie in den vergangenen Jahren mit dem Ehepaar Schumann, Frédéric Chopin oder Béla Bartók auseinandersetzt, zu überraschend luziden Ereignissen. So wundert es wenig, dass sie auch die Monumente der pianistischen Konzertsaalkultur unten anderen, neuen Gesichtspunkten einer Analyse unterzieht und dabei zu faszinierend mitreißenden Ergebnissen kommt. Aktuelles Beispiel dafür ist ihr Beethoven Album, das sich neben der späten Sonate Nr. 28 A-Dur op.101 vor allem dem gewaltigen Fünften Klavierkonzert annimmt.
Für Hélène Grimaud ist klar: Ludwig van Beethoven war ein Kämpfer, ein Komponist und aufmerksam beobachtender Zeitgenossen, der den Unwägbarkeiten seiner Ära, in der sich die Geschichte zunehmend zu beschleunigen schien, mit den Möglichkeiten der Kunst begegnete. Diese Vorstellung ist in Bezug auf Beethovens Sonatenwerk inzwischen gang und gäbe. Die Klavierkonzerte hingegen erscheinen in der musikwissenschaftlichen Deutung bislang noch immer als weniger reflektierend und den Voraussetzungen ihrer Zeit verhaftet. Grund genug, für die französische Ausnahmepianistin, sich einem dieser Repertoiremonolithen aus ihrer Perspektive anzunehmen.
Das Es-Dur-Konzert op. 73 trägt den Beinamen “L’Empereur”. Es entstand 1809, ist das letzte seiner Art, das der inzwischen nahezu vollständig ertaubte Komponist schrieb. Und es wird mit Blick auf die Zeit der Napoleonischen Kriege gerne als akustisches Schlachtengetümmel mit Pferdegetrappel et cetera gedeutet. Für Hélène Grimaud ist es jedoch weit mehr. “Das Klavierkonzert ist wie ein Biest, vor dem man unglaublich Respekt hat”, meint die Pianistin und fügt hinzu: “Man studiert es – und das Biest entpuppt sich am Ende tatsächlich als Lehrer. Als Lehrer, der die eigenen Überlegungen herausfordert, der den Interpreten durch die überwältigende Form, mit der er hantieren muss, zwingt, eigene Widersprüche zu reflektieren und sie in eine individuelle Form zu bringen – eigene Grenzen zu überschreiten, alte Vorstellungen über Bord zu werfen. Beethoven zwingt den Künstler, sich Wissen anzueignen, weil man in seiner Musik, die das Emotionale aus philosophischer Logik entwickelt, allein mit Gefühlen nicht weiterkommt.”
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