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Friedrich Gulda
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Friedrich Gulda - At Birdland

26.09.2007

Friedrich Guldas Jazzdebüt “Live At Birdland” war in der Musikszene Europas 1958 ein unerhörter Skandal. Nicht von ungefähr hatte Guldas Plattenfirma Decca Records zwei Jahre mit der Veröffentlichung gezögert. Denn das gab es damals nicht, daß ein “ernsthafter” klassischer Pianist im Jazzclub auftrat, das war undenkbar. Da änderte es nichts, daß die New Yorker Fachpresse nach zwei Wochen Birdland voll des Lobes für Gulda gewesen war. Oder daß er diesen Erfolg wenig später beim Newport Jazz Festival wiederholen konnte. Man machte eben entweder das eine oder das andere. Nun, dieses Schubladendenken konnte dem Wiener Jahrhundertpianisten zwar Steine in den Weg legen, doch aufhalten konnte es ihn nicht.


Heute ist Friedrich Guldas erster Auftritt mit seinem eigenen Jazzsextett, in dem so illustre Musiker wie Idrees Sulieman, Jimmy Cleveland und Phil Woods spielten, ein Dokument seiner überragenden pianistischen Multibegabung und seiner Suche nach Freiheit, musikalisch wie im Leben. Zum ersten Mal gibt es die beiden mitgeschnittenen Sessions vom 28. und 29. Juni 1956 in der richtigen Reihenfolge und auf einem Tonträger, zum ersten Mal wurde das gesamte Material liebevoll unter Verwendung der Originalbänder neu gemastert. Fast die Hälfte der Stücke erleben ihre CD-Weltpremiere, es handelt sich um jene Titel, die von Decca auf einer zweiten LP unter dem Titel “A Man Of Letters” veröffentlicht wurden.
 
Ein blutjunger Klassikpianist, eines der größten europäischen Musiktalente, auf Abwegen: 1950, mit gerade einmal 20 Jahren, gab Friedrich Gulda sein umjubeltes Debüt in der New Yorker Carnegie Hall. Danach zog es ihn in die Nacht hinaus – nicht zu irgendeiner schicken Party, sondern ins Birdland, den bedeutendsten Jazzclub des “Big Apple”, zu einem Auftritt von Dizzy Gillespie. Beim begeisterten Zuhören sollte es in Zukunft nicht bleiben, denn nur Klassik zu spielen war dem jungen Wiener zu wenig und der Konzertbetrieb wurde ihm längst zu eng.
 
Was suchte und fand Gulda im Jazz, was fehlte ihm im anscheinend so privilegierten Alltag eines genialen Konzertpianisten? In der Gulda-Anthologie “Worte zur Musik” findet sich dazu ein erhellendes Zitat, das er 1960 notierte: “Jazz: Wo das Leben noch Lust, Leid und Risiko ist und nicht vom Staat geschützte Gleichförmigkeit und Langeweile. Improvisation = Freiheit, Risiko, Wagnis!”
 
Der Mensch Gulda wollte extrovertiert und entspannt leben und der Künstler wollte nicht nur nachschöpfend kreativ sein. Gulda sah als erster “klassischer” Musiker die Gleichwertigkeit einer frei improvisierten, nicht schriftlich niedergelegten Musik. Die Vorteile an Impulsfrische und Lebendigkeit, die sich, im Gegensatz zur kompositorischen Stagnation der europäischen Musik, im Jazz zeigten. Nichts davon konnte er im Rahmen des regulären Klassikbetriebes verwirklichen. Im Gegenteil: Seine Ideen trugen ihm im Europa der 60er und 70er Jahre nicht endenden Ärger ein.
 
Trotzdem ließ er sich nicht abhalten. In den Jahren nach “Live At Birdland” reifte Gulda zum die Verbindung suchenden “Wanderer zwischen Welten”: Der klassische Meister bereicherte viele seiner großen Mozart- und Beethoven-Aufnahmen mit Stilmitteln, Swing und Lockerheit des Jazz. Der Jazzpianist, der den New Yorker Auftritt später einmal als “Gesellenstück” bezeichnete, entwickelte sich auch in dieser Musikform zu einem großen Könner. Gesellenstück, aber was für eines!
 
Im Gespräch mit Kurt Hofmann erinnerte sich Friedrich Gulda an diese Zeit: “…1956, das weiß ich noch genau, da bin ich gestanden am Flughafen von Buenos Aires und hab' – wie öfter, muß ich leider sagen – zwei Verpflichtungen gehabt. Die eine war ein Meisterkurs am Mozarteum in Salzburg und die andere ein Engagement im Birdland in New York. Was soll ich machen? Da waren zwei Flugzeuge und in welches steig ich ein?
 
Einen mußte ich versetzen und Gott sei Dank bin ich dann in die Maschine nach New York eingestiegen und habe die Salzburger hängenlassen – unter irgendeinem Vorwand mit Krankheit oder irgendwas. Tollkühn bin ich einfach ins Birdland gegangen, obwohl ich mich immer noch als Anfänger fühlte. ‘Es ist Wurscht, man muß sich einmal trauen.’
 
Ich hab dort Jazz gespielt, obwohl ich genau wußte, gestern spielte der Charlie Parker und morgen spielt der Dizzy Gillespie (…) und gegen solche Giganten bin ich ein Niemand. Das war wirklich eine Mutprobe. Die habe ich bestanden und darauf bin ich auch ziemlich stolz.
 
Es war nicht so schlecht, aber es war natürlich nicht im entferntesten das, was ich auf dem anderen Sektor bereits erreicht hatte. Es war sozusagen meine Gesellenprüfung. Und dann habe ich weiter vier bis fünf Jahre, bis Ende der fünfziger Jahre, in den Jazz invertiert, bis ich mir selbst sagen konnte, und die anderen gesagt haben, ja den Gulda, den kann man auch als Jazzmusiker ernst nehmen. Das war für mich ein ungeheurer Triumph, daß ich eine zweite Karriere mit einem ehrlich erworbenen Erfolg geschafft habe.” (Friedrich Gulda, aus Gesprächen mit Kurt Hofmann, Langen Müller 1990)

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