Er schickte ihr Blumen, nach jedem Konzert. Bis sie ihn ausfindig machen ließ und in die Garderobe bat. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Elvis Costello, dem intellektuellen Postpunk-Barden mit hochkulturellen Absichten, und Anne Sofie von Otter, der klaren Stimme aus dem Norden.
Das Video zum neuen Album “For The Stars”
Die Voraussetzungen hätten kaum unterschiedlicher sein können. Da war auf der einen Seite Declan Patrick MacManus. In London geboren und in Liverpool aufgewachsen gehörte er zu den frühen Antihelden der britischen Popmusik. Seit er 1976 mit einem Demo-Tape und einer Gitarre unter dem Arm die Manager des Alternative-Labels Stiff Records derart nervte, dass sie ihm einen Plattenvertrag gaben, entwickelte er sich zu einer Art künstlerischem Gewissen der Punk-Ära. Unter dem Künstlernamen Elvis Costello und mit damals anarchisch konventionellem Outfit – Hornbrille, Spießerhaarschnitt, grauer Anzug mit Hochwasserhosen – kreierte er eine Form von musikalischer Gegenkultur, die dem Trash der lärmenden Revoluzzer die Qualität sarkastischer Texte und clever arrangierten Rock’n'Rolls entgegensetzte. Mit dem Abflauen der provokativen musikalischen Gesten wandte er sich in den Achtziger der New Yorker Avantgarde zu und veröffentlicht in regelmäßigen Abständen Alben, die mal mit angejazztem Funk, mal mit quasi-klassischen Suiten oder süßlichen Popballaden die Musikwelt überraschten.
Auf der anderen Seite stand Anne Sofie von Otter. Die Mezzo-Sopranistin aus Stockholm hatte nach ihrem Studium an der Londoner Guildhall School of Music and Drama und dem Unterricht bei renommierten Pädagogen wie Erik Werba, Geoffrey Parsons und Vera Rosza Anfang der Achtziger in Basel den Einstieg in die Szene geschafft. Seitdem empfahl sie sich mit natürlicher Eleganz und wandlungsfähiger Stimme von der New Yorker Metropolitan Opera bis zur Mailänder Scala und von den Salzburger Festspielen bis zu umjubelten Tourneen durch Japan. Dass die beiden Antagonisten dennoch miteinander in Kontakt kamen, lag an einer Verkettung von Zufällen. Da war zunächst ein Konzert im Jahr 1989, bei dem der nach neuen Impulsen suchende Costello zum ersten Mal von Otter hörte. Da waren viele Blumenbouquets, die die Sängerin bei ihren folgenden Londoner Auftritten in ihrer Garderobe fand. Und da war schließlich der Abend, an dem sich die beiden nach der Vorstellung trafen, ins Gespräch kamen und feststellten, dass sie Lust darauf hätten, mal etwas anderes auszuprobieren. Für Costello war es ein behutsamer Anfang: “Zunächst sollte es keine große Sache sein. Wir bekamen die Gelegenheit, ein Konzert in Stockholm zusammen zu gestalten. Dann wurde ich schon mehr eingespannt, weil ich den Auftrag bekam, für das Brodsky Quartet und Anne Sophie etwas zu komponieren. Mit der Zeit hat sich schließlich eine vage Idee entwickelt, darüber hinaus etwas zusammen auf die Beine zu stellen. So schrieb ich ein paar Lieder, wir schickten Kassetten hin und her, diskutierten das Repertoire und waren uns schnell klar darüber, dass wir nicht diese übliche Sache mit Broadway-Songs machen wollten.”
Das schwierigste Problem allerdings war der Terminkalender. Denn sowohl Costello, als auch Anne Sofie von Otter waren über Jahre hinweg eingespannt, so dass es bis zum Herbst 2000 dauerte, bis beide sich genügend Zeit für eine gemeinsame Produktion mit unsicherem Ausgang freischaufeln konnten. Es wurde ein Herausforderung, für den Pop-Veteranen ebenso wie für die Grenzgängerin der Hochkultur: “Für mich bedeutet Abenteuer, neue Sachen innerhalb der musikalischen Welt auszuprobieren. Ich habe alles Mögliche im klassischen Bereich gesungen, von frühen Renaissance-Stücken bis zu zeitgenössischen Kompositionen, deren Tinte vom Schreiben noch nicht trocken war. Und natürlich interessierte mich Popmusik von Anfang an, auch wenn ich keine konkrete Vorstellung davon hatte, wie sie denn tatsächlich umgesetzt werden konnte. Immerhin habe ich als Teenager häufig die Schlager im Radio gehört und zum Teil selbst zur Gitarre gesungen. So war der Sprung für mich, etwas Ungewohntes auszuprobieren, nicht so groß, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Die Aufgabe lag vielmehr darin, nicht so zu klingen, wie andere Versuche klassischer Künstler mit populärer Musik. Mit der außergewöhnlichen Instrumentierung, dem unüblichen Repertoire und den kompetenten Gästen ist uns das hoffentlich gelungen”.
Tatsächlich haben viele Freunde von Otter und Costello geholfen, damit aus dem Experiment ein Erfolg wurde. Die Musiker vom Fleshquartet zum Beispiel sorgten in den Stockholmer Atlantis-Studios für pointiert kammerpoppige Akzente. Benny Anderson, der in den Siebzigern in denselben Räumen mit Abba vor den Mikrofonen stand, setzte sich für die schwedischen Kollegin ans Klavier und ließ sich sogar zu einer Akkordeon-Einlage überreden. Bergt Forsberg nahm Abstand von seiner üblichen Funktion als Begleitpianist und griff in die Tasten der Hammond-Orgel. Costello arrangierte seinem Gegenüber die Lieder auf den Leib, sang, produzierte und sorgte dafür, dass sogar die rauen Einfälle eines Tom Waits sich in das Klangensemble fügten. Und von Otter selbst gelang es, innerhalb nur weniger Stunden in eine für sie neue Rolle zu schlüpfen: “Ich musste die ganze klassische Ausbildung außen vor lassen. Das ist gar nicht so einfach, denn im Laufe der Jahre hat man die Techniken der großen Stimme derart verinnerlicht, dass man sie kaum noch als solche wahrnimmt. Je tiefer die Lieder gesetzt waren, desto leichter fiel es mir, nicht in Variationsarten wie Vibrato hinein zu rutschen. Im musste mich allerdings sehr konzentrieren und quasi in die Situation versetzen, wenn ich zuhause bin. Da stehe ich auch nicht in der Küche und schmettere mit meiner Opernstimme. Überhaupt liegt mir diese extrem ausgebildete Gesangsschulung nicht. Ich versuche auch sonst in gleichem Maße, die natürlichen Farben meiner Stimme zu erhalten”.
Das ist ihr gelungen. Costello, bekannt als selbstkritischer Beobachter der eigenen Projekte, ist jedenfalls begeistert: “Mich hat von Anfang an die Ehrlichkeit begeistert, die ihre Stimme ausstrahlt. Man hat nicht das Gefühl, dass da jemand gelernte Sachen wiedergibt. Wie es dann tatsächlich wurde, mit ihr zu arbeiten, konnte ich damals noch nicht ahnen. Sie brachte derart viel Input mit in die Produktion, dass am Ende eine Musik herauskam, die zeitlos klingt und irgendwann innerhalb der vergangenen drei Jahrzehnten hätte entstanden sein können”. Und die beiden könnten es geschafft haben, mit For The Stars einmal wirklich über die Grenzen zwischen den Gattungen geschritten zu sein. Jedenfalls haben nicht nur die Beteiligten das Gefühl, dass in der kleinen Form etwas Großes entstanden ist, jenseits der Normierungen des musikalischen Alltags. Ein Tor wurde geöffnet, ein Weg gewiesen mit ungewissem Ziel, aber voller Optimismus, dass Costello und von Otter am Anfang einer neuen Ära stehen.
Die Referenz:
“Zwei Welten verschmelzen in einer kongenialen Symbiose: die schwedische Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter sowie der britische Rockmusiker und ehemalige Punk-Grübler Elvis Costello. Das Ergebnis, bedeutende Popsongs von einem Weltstar der Klassik gesungen und von einer Rocklegende arrangiert, produziert und am Flügel begleitet, ist erstklassig.” (S. Meyer in Stereo 5/01)
Näheres zur Referenz-Reihe unter http://www.referenzaufnahmen.de