Technische Probleme kennt er gar nicht. Es ist, als hätten seine Hände nur die eine Funktion: Klavier zu spielen. Bewusst geworden ist ihm dies erstmals, als er sich den linken Arm brach. Da spielte er schon eine Zeitlang Klavier, und plötzlich durfte er nicht mehr. Damals bekam er regelrechte Entzugserscheinungen, und schlagartig wurde ihm klar, dass er das Klavierspiel brauche, dass es ohne gar nicht gehe, dass dies sein Leben sei.
Dabei ist der junge Daniil alles andere als ein Musik-Nerd. Er spielt Fußball und Eishockey, ist ganz “normal” geblieben und verbirgt sich keineswegs, wie so manch anderer Romantiker, hinter einsamen Grübeleien. Und trotzdem ist da diese andere Seite, dieses empfindsame Moment, das ihn von den Altersgenossen unterscheidet. Als er in einem jüngeren Interview einmal gefragt wird, wovon er als Junge geträumt hat, da antwortet er: von Eishockey und Fußball, um dann scheu hinzuzufügen: von Skrjabin. Alexander Nikolajewitsch Skrjabin, dieser gefühlsgeladene Ekstatiker, der mit seinen berauschend schroffen Harmonien den Weg in die Moderne wagte und doch nie sein romantisches Temperament verriet. Einfache Melodien, Träumereien und wilde Abschweifungen, das ist Skrjabin, und so spielt Daniil Trifonov Klavier.
Kein Wunder, dass man da gleich an Vladimir Horowitz denkt, den Unvergessenen, den größten romantischen Pianisten des 20. Jahrhunderts, der wie kein anderer heftige Ausbrüche und zärtliche Innigkeit miteinander zu verbinden wusste. Bei Daniil Trifonov überwiegt die Heftigkeit, wie beim jungen Horowitz. Sein Spiel ist mitreißend, es zieht einen fort in ganz andere Gefilde, von denen man nichts ahnt. Umso berührender ist es, wenn dann inmitten dieser Heftigkeit das lyrische Moment anklingt. Das macht Trifonovs Chopin-Interpretationen so unendlich reich und ergreifend. Man möchte Chopin nicht immer nur gleitend, zart, lyrisch und melodiös präsentiert bekommen. Es gibt noch eine andere, eruptive Seite des polnischen Komponisten, und die hat seit Vladimir Horowitz keiner so deutlich zum Ausdruck gebracht wie Daniil Trifonov.
Grandios, wie er dem Klavier die tänzerische Energie der „Mazurkas“ entlockt. Es ist, als ob er das Klavier selbst zum Tanzen bringt. Nachdenklicher spielt er Chopins dritte Klaviersonate in h-Moll, deren Largo er einfühlsam fließen lässt, um dann im folgenden Presto non tanto mit umso energischerem Furor den Kontrast der Empfindungen erkennbar werden zu lassen. Dass ein solcher Vollblutromantiker, der die Gefühlsradikalität Frédéric Chopins so lebhaft zum Ausdruck bringt, ein begnadeter Live-Performer sein muss, liegt auf der Hand. Und sein fulminanter Auftritt in der Carnegie Hall im Februar 2013 bezeugt dies wohl am eindrücklichsten. Hier hat er mit Skrjabin, Liszt, Chopin und Medtner ein klassisches Horowitz-Programm aufgelegt, und er füllt es mit einer vitalen Kraft aus, die atemberaubend ist. Im Gegensatz zu Horowitz traktiert er das Klavier nicht so heftig. Nur die Explosivität der Ausbrüche klingt bei beiden Pianisten ähnlich. Ansonsten ist der Stil von Daniil Trifonov etwas völlig Neues, Eigensinniges. Das kann man nicht fassen. Das muss man gehört haben.