Zu einer Gesamteinspielung kam es nicht, auch wenn Arturo Benedetti Michelangeli es ursprünglich vorhatte, sich den kompletten Klavierkonzerten Beethovens zu widmen. Allein die drei vorhandenen Aufnahmen jedoch, wovon die Konzerte Nr.1 und 3 für eine Referenz-CD zusammengefasst wurden, versetzten Fans und Kritiker bereits in Entzücken.
Arturo Benedetti Michelangeli wachte mit scharfem Blick über die Vermarktung seines Genies. Denn der Pianist aus Brescia war ein Perfektionist mit einer Detailversessenheit, der keinen noch so kleinen Schnitzer durchgehen ließ. Alles musste stimmen, die Atmosphäre, die Zusammenarbeit mit den Partnern am Pult und im Orchestergraben, die Umstände eines Konzertes oder einer Aufnahme, ansonsten stieg er nicht auf die Bühne oder gar vor die Mikrophone. Michelangeli galt daher als ‘schwierig’ und war doch lediglich darum bemüht, die Kunst der Interpretation zu einem Höchstmaß zu führen, das kaum mehr Wünsche offen ließ. Insofern war es etwas Besonderes, dass er sich im Jahr 1979 gemeinsam mit dem Dirigenten Carlo Maria Giulini und den Wiener Symphonikern nicht nur ins Aufnahme-Studio begab, sondern sogar vor die Fernsehkameras stellte, um zwei der meist gespielten Konzerte der Klavierliteratur seinen persönlichen Stempel aufzudrücken. Denn im Unterschied zu der rein akustischen Archivierung, ließen sich die optischen Eindrücke kaum korrigieren. Alles musste stimmen, Korrekturen waren quasi unmöglich.
Und es stimmte alles. Das Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op.15 geriet unter Michelangelis Fingern zu einem Manifest der reflektierten Leidenschaftlichkeit, das die gestalterische Macht des Komponisten präsent, aber ohne übertriebenes Pathos abbildete. Das Pendant dazu in c-moll op.37 hingegen entwickelte sich zu einer wunderbaren Paraphrase der Leichtigkeit, von der der Rezensent des FonoForums Martin Meyer bald darauf schwärmte: “Michelangeli sprengt schon im ersten, von den meisten Pianisten noch zurückhaltend vorgebrachten Solo die Verbindlichkeit. Er strebt auf die Sforzato-Akzente zu und vertieft sich in die rauschenden Sechzehntel-Kaskaden und bekräftigt die harte Artikulation in den Bassfiguren. Damit ist das Prinzip dieses Beethovens auf seine Begrifflichkeit gebracht. Kein tänzerisch-charmanter, keiner des beweglichen Parlandos; vielmehr einer, der Takt um Takt in die Form gehoben wird und somit stets von neuem zu präzisieren ist. Konsequent lässt sich Michelangeli nicht auf die sehnsüchtige Sprache des Seitenthemas ein, fasst es beinahe unsanft an und gestattet sich bloß an einer einzigen Stelle ein leichtes Ritardando. Dieses aber gehört zu den unvergessenen Augenblicken dieser Einspielung: die Wirkung, die davon ausgeht, ist so nachhaltig, dass man in der Reprise erwartend dieselbe Phrasierung voraushört”. Es wird klar: Michelangelis Kunst ist mehr als Fertigkeit. Sie ist das symbiotische Nachgestalten des Originals aus der Perspektive des kongenialen Individuums.
Die Referenz:
“Dass Michelangelis Beethoven-Spiel nach wie vor einen der gewichtigsten Diskussionsbeiträge darstellt, ist auch nach dem Wiederhören zu bestätigen” (FonoForum 4/1988)