Ahhh, Tschaikowski! Die ersten Fanfaren ertönen und der Konzertgänger weiß, woran er ist. Schließlich gehört das „Klavierkonzert b-Moll, op.23“ von Peter Ilyich Tschaikowski zu den berühmtesten Werken der Konzertliteratur. Es ist mehr als nur ein Ohrwurm und steht mit seiner Mischung aus Pathos und Melancholie für das Lebensgefühl des ausgehenden 19. Jahrhunderts schlechthin. Das wiederum bedeutet aber, dass ein Künstler, der sich an das Meisterstück wagt, in Konkurrenz mit fast allen großen Pianisten der vergangenen Jahrzehnte tritt, die sich an den wuchtigen Akkorden und beeindruckenden Läufen versucht haben. Für Alice Sara Ott war es trotzdem eine leichte Entscheidung, sich für ihr Debüt als Solistin mit Orchester Tschaikowski und darüber hinaus dem eleganten Pendant von Franz Liszt zuzuwenden: „Liszt Es-Dur Konzert habe ich mit vierzehn Jahren zum ersten Mal aufgeführt“, meint die international gefeierte Newcomerin und ergänzt: „Bei Tschaikowskis Opus 23 war ich siebzehn. Mit diesen beiden Werken verbinde ich die meisten Erinnerungen und Erlebnisse“.
Dazu gehört etwa, dass Alice Sara Ott das Tschaikowski-Konzert inzwischen mindestens fünfzigmal auf der Bühne vor Publikum präsentiert hat und sich auf diesen Weise ein feines Gespür für die Nuancen der Interpretation hat erarbeiten können, die über das notwendige Üben in der Vorbereitung hinaus gehen. Sie hat sich außerdem inhaltlich intensiv mit dem Komponisten und seiner Lebenswelt während der Entstehung des Werkes, mit seiner Auseinandersetzung und Umwandlung russischer Folklore beispielsweise, aber auch mit seiner eigensinnigen Weigerung, trotz harscher Kritik befreundeter Künstler, etwas an der Partitur zu ändern, beschäftigt: „Für mich spiegelt das Werk zahllose Facetten des Lebens. Und es erzählt mir viel über Tschaikowskis zwiespältige Persönlichkeit, seine Komplexe als Homosexueller. Viele Komponisten wären verrückt geworden ohne die Musik. Sie war der Ort, wo sie sich frei ausdrücken konnten. Das spürt man in diesem Stück, das so viele verschiedene Seiten Tschaikowskis zeigt, freimütige, ironische, frohe, hoffnungsvolle, und dann in der schwermütigen Melodik auch seine depressiven Seiten“.
Alice Sara Ott hat für die Aufnahme in der Münchner Philharmonie, die im November 2009 zusammen mit den Münchner Philharmonikern unter der Leitung von Thomas Hengelbrock entstanden, dem musikalischen Kampf des russischen Meisters ein ähnlich gewichtiges Stück von Franz Liszt gegenüber gestellt, das sie für mindestens ebenso relevant für ihr Instrument erachtet. Dessen „Klavierkonzert Es-Dur, S 124“, das der Komponist selbst über Jahre hinweg immer wieder überarbeitet und verfeinert hat, wurde zwar von der Kritik oft als Instrumentalartistik abgetan. Es hat bei genauerer Betrachtung aber mindestens ebenso viel Substanz wie das eingängiger wirkende Gegenstück Tschaikowskis. So oder so sind beide Werke Kunstwerke der romantischen Klavierwelt und somit für jeden Pianisten eine Herausforderung, die auch ein wenig mit Demut zu tun hat. Denn: „Es ist nicht immer einfach herauszufinden, was der Komponist wollte. Aber wir Musiker sind letztlich nur die Botschafter der Komponisten. Wir müssen das, was sie vermitteln wollten, ans Publikum weitergeben“. Und das beherrscht Alice Sara Ott mit beeindruckender Meisterschaft.
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