Die brillante Klaviermusik von Frédéric Chopin hat es dem preisgekrönten isländischen Komponisten Ólafur Arnalds schon immer angetan, aber die glatte und perfekte Gestaltung vieler Aufnahmen langeweilte ihn. “Das muss auch anders gehen!”, dachte er sich deshalb. „Warum sollten wir die Technologie, die uns zur Verfügung steht, nur als Werkzeug nutzen und nicht auch als Mittel der Interpretation? Warum sollten die Mikrofone, der Raum – der Sound – nicht auch Beitragende der Aufführung sein?"
Kreativität hoch zwei
In der deutsch-japanischen Pianistin Alice Sara Ott fand Ólafur Arnalds eine hochkarätige Verbündete, die von der Idee sofort begeistert war. So haben die beiden jungen Musiker kurzentschlossen gemeinsam den aufregenden Weg beschritten, um die musikalische Welt von Frédéric Chopins Musik ein bisschen auf den Kopf zu stellen und ihr mit einer ganz eigenen Aufnahme-Interpretation mal völlig anders zu begegnen. Diese unbändige Energie und der frische Esprit der beiden Künstlerpersönlichkeiten ist in dem Album deutlich spürbar. Jeder Ton ist von individueller Kreativität durchdrungen.
Ólafur Arnalds beweist sich mit “The Chopin Project” nicht nur durch die Auswahl der originalen Chopin-Stücke als feinfühliger musikalischer Dramaturg, indem er einen ausdrucksvollen emotionalen Bogen kreiert, sondern hat auch noch selbst komponierte Intermezzi für Streichquintett, Klavier und Synthesizer aus der eigenen kreativen Feder hinzugefügt, die von der Atmosphäre und den Motiven der Chopin-Stücke inspiriert sind .
Durch diese Kombination entsteht ein einzigartiges musikalisches Projekt, das die Handschriften zweier Komponisten aus verschiedenen Kontexten, Zeiten und Stilen behutsam miteinander verwebt und dadurch etwas Neues entstehen lässt, das mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. Für die Umsetzung ihres ambitionierten Vorhabens wählten Alice Sara Ott und Ólafur Arnalds absichtlich alte, ungewöhnliche oder präparierte Klaviere, die dem Spiel der Pianistin einen besonders charismatischen Charakter verleihen und durch den intimen, fragilen und charmant unvollkommenen Klang noch eine weitere musikalische Ebene eröffnen. Festgehalten wurde die Musik zudem allein mit Hilfe altmodischer Aufnahmegeräte, die jeden Hauch einfangen und sich nicht um die Perfektion bemühen, die die moderne Hightechwelt von heute normalerweise garantiert.
Isländische Ode an Chopin
Mit “Verses”, “Reminiscence”, “Letters of a Traveller” oder “Written in Stone” sind die Tracks überschrieben, die Ólafur Arnalds selbst komponiert hat. Sie wecken eine Ahnung von der märchenhaft anmutenden Atmosphäre, die in den sparsam instrumentierten Stücken kreiert wird. Das getragene Largo aus Chopins Klaviersonate Nr. 3, das berühmte Regentropfenprélude in Des-Dur oder die brillanten Nocturnes in c-Moll und g-Moll lassen Chopins Geist auf einzigartige Weise lebendig werden.
Ólafur Arnalds möchte mit seinem musikalischen Experiment Gefühle greifbar machen. Durch differenzierte Mix-Techniken lässt er traumhafte Klanglandschaften entstehen. ‘Der Hörer soll sich dem Künstler so nah fühlen, dass er jeden Atemzug und jede zarte Geste mitbekommen kann", wünscht sich der Komponist. Dieses Vorhaben gelingt wunderbar. Die Intimität von “The Chopin Project” ist magisch. Die Musik entführt die Ohren wirklich in eine andere Welt.