Es ist ein lauer Spätsommerabend. Eine Menschenschlange wartet an einem im Dunkeln liegenden Gartentor in einem Hinterhof im Berliner Prenzlauer Berg. Nur das einige Meter weiter stehende, gelb leuchtende Logo verrät den Grund für die Zusammenkunft: Die Yellow Lounge ist zurück aus der Sommerpause und wartet zum Auftakt in die Saison 2018/19 mit einem der zurzeit gefragtesten Pianisten auf. Zu Gast in der Musikbrauerei war am 3. September der isländische Pianist Víkingur Ólafsson.
Die Gäste führt es zunächst eine Kellertreppe hinab, um sich dann entlang verschlossener Kellerräume, in denen sich allerlei historische Fundstücke über verrostete Metallbetten bis zu alten Gasmasken befinden, weiter den Weg durch das zum Luftschutzbunker umgebaute Kellergewölbe zu bahnen. Es ist ein geschichtsträchtiger Ort, in den alten Gemäuern der ehemaligen Brauerei stecken über 125 Jahre Berliner Geschichte. Spätestens beim anschließenden Aufstieg einer mit Spinnenweben bedeckten Wendeltreppe ist jedem bewusst, dass er sich auf dem besten Wege in ein Abenteuer befindet. Und dieses Abenteuer trägt den Namen “Johann Sebastian Bach”.
Víkingur Ólafsson eröffnet den Abend in italienischer Manier mit Bachs “Aria Variata alla maniera Italiana”. Langsam wandern die Blicke durch das alte Gemäuer und ruhen dann auf einer der großen Wände, an der wie aus Zauberhand das Bild des spielenden Pianisten erscheint. Überlebensgroß lässt sich verfolgen, wie Ólafssons Hände über die Tastatur gleiten. Ganz nach dem Motto “Bach ist überall” folgen Bearbeitungen von Rachmaninov sowie Siloti. Ólafsson stellt Bachs Präludium und Fuge in e-Moll die Siloti Transkription des Präludiums in h-Moll gegenüber, ein magischer Moment. Das charakteristische Motiv in der linken Hand des Originals lässt sich nun in der rechten Hand wiederfinden, Siloti erfindet das Stück regelrecht neu. Geradezu meditativ endet der erste Teil des Abends.
Im zweiten Teil kehrt Ólafsson zum Repertoire seines Debütalbums für die Deutsche Grammophon zurück. Nicht ohne Grund, denn mit seinen Philip Glass Einspielungen hat sich der Pianist weltweit einen Namen gemacht. Mit Glass' “Opening” und der Etüde Nr. 9 ist sie wieder da, die Magie der Stille. Die Werke der Minimal-Music Legende, denen das Publikum, das es sich rund um den Flügel gemütlich gemacht hat, andächtig lauscht, erklingen kristallklar und voller Energie.
Ein ums andere Mal stellt Víkingur Ólafsson unter Beweis, dass klassische Musik zeitlos ist und auch an diesem Abend schlägt er charmant die Brücke zwischen “alter” und “neuer” Musik. Wie es begonnen hat, so endet das Programm auch: Italienisch. Am Schluss steht Bachs “Concerto in d-Moll”, das auf Alessandro Marcello zurückgeht.
Mit den zwei Zugaben, drei ungarische Volkslieder aus Csík arrangiert von Béla Bartók sowie eines weiteren Stückes aus der Feder seines Freundes Philip Glass, neigt sich der Abend dem Ende zu und das Publikum folgt nach stürmischem Applaus dem Kellerlabyrinth bis es wieder in der herbstlichen Berliner Nachtluft steht. Gelungen dieser Auftakt der neuen Yellow Lounge Saison, der die Vergangenheit mit der Moderne verschmelzen ließ und Lust auf mehr macht.