Das Silent Green, die Kuppelhalle des ehemaligen Krematoriums im Wedding bot eine eindrucksvolle Kulisse für einen Opernabend besonderer Couleur. Das Bühnenpodest war umringt von kleinen Sitzkissen, auf denen das neugierige Publikum kauerte, gespannt darauf, die Kunst der Grossen Bühne in diesem besonderen Ambiente hautnah zu erleben. Soviel vorweg: die Erwartungen fanden auf beglückende Weise Erfüllung. Ganz ohne Berührungsängste präsentierten sich der russische Bassist Ildar Abdrazakov und der französische Tenor Benjamin Bernheim, begleitet von der französischen Pianistin Sara Thymans an diesem Abend ihrem Publikum. Jeder der beiden Sänger hatte jüngst sein erstes Solo-Album bei der Deutschen Grammophon vorgelegt.
Für Ildar Abdrazakov ist Giuseppe Verdi ein ganz besonderer Komponist. “Bei ihm geht es immer um Gefühle und die Seele, um Konflikte und Menschen in Konfrontation.” Und es sind jene dunklen Gefühlsfarben, in denen Abdrazakov mit seinem mächtigen Bass auch an diesem Abend die Porträts seiner Protagonisten malt, etwa mit der Arie des Attila “Mentre gonfiarsi l’anima” aus dem ersten Akt der gleichnamigen Oper Verdis, mit der Ildar Abdrazakov seinen beeindruckenden Auftritt beginnt. Ideal für seine Stimme ist das Rollenfach “Mephisto” – Ildar präsentierte ihn anschließend gleich zweimal. Und er kam dabei nicht als Bösewicht, sondern als cooler, verführerischer Typ daher – mit entsprechendem Outfit: ganz in schwarz, mit T-Shirt, darauf ein glitzernder Totenschädel mit Sonnenbrille aus schwarzen Pailletten. Die Pfiff-Canzone “Son lo spirito, che nega” (“Ich bin der Geist, der stets verneint…”) aus Arrigo Boitos Oper “Mefistofele”, beeindruckend und zugleich mit einem Augenzwinkern – endet mit einem ohrenbetäubendem Pfeifkonzert des Publikums, initiiert und dirigiert von Abdrazakov selbst!
Den zweiten Mephisto präsentiert der Bassist im Duett mit Benjamin Bernheim als Faust aus der gleichnamigen Oper von Charles Gounod. Der verzweifelte Faust ruft Satan an und der – “Me voici!” (“Hier bin ich!”) – erscheint und macht Faust seine Angebote. Diesen eigentlichen dramatischen und zugleich hintersinnigen Dialog zwischen Bernheim und Abdrazakov zu erleben, war pures Vergnügen. Das Publikum dankte es mit begeistertem Applaus.
Den zweiten Teil des Abends bestritt der 1985 in Paris geborene Tenor Benjamin Bernheim. Längst auf den renommiertesten Opernbühnen der Welt zu Hause, widmet er sich auf seinem Debüt-Album den Komponisten Gounod, Massenet, Donizetti, Puccini, Verdi und Tschaikowsky. “Die Oper kann die Seele der Menschen berühren und ihr Leben bereichern”, sagt er. “Das französische Repertoire erfordert eine extrem große Klarheit des Textes und der Intention dahinter und es ist so viel Poesie in diesen Stücken, es gibt hier so viel zu entdecken.”
Wiederum begleitet von der fabelhaften, einfühlsamen wie aufmerksamen Pianistin Sarah Tysmans nahm Bernheim sein Publikum an diesem Abend mit Leichtigkeit und völlig unprätentiös und zugleich mit großer Stimme mit auf den Parcours großer Gefühle und Leidenschaften. Beginnend mit der Arie “En fermant les yuex” aus Jules Massenets Oper “Manon” setzte er mit der Romanze “Una furtiva lagrima” aus der Donizetti-Oper “L’elisire d’amore” fort, einem der wohl häufigsten Stücke auf den Repertoirelisten aller Tenöre. Lyrisch, innig, dramatisch zugleich, so wie auch die berühmte Lensky-Arie “Kuda, Kuda” (“Wohin, wohin seid ihr entflohen”) aus Tschaikowskis “Eugen Onegin”.
Den Schlusspunkt setzte er mit der Arie des Werther “Pourquoi me révellier” (“Warum weckst du mich, du Frühlingshauch?” aus Massenets gleichnamiger dramatischer Oper.
Direkt und aus nächster Nähe waren Intuition, Einfühlung und das Beherrschen der Technik beider Sänger, sowie ihre unbedingte Spielfreude erlebbar. Nicht auszuschließen, dass so manchen Besucher dieses Abend der nächste Weg in die Oper führen wird.