Eigentlich wollte Giuseppe Verdi kein Requiem mehr komponieren. 1868 hatte er, nachdem Gioachino Rossini gestorben war, die zwölf bedeutendsten italischen Komponisten Italiens zur gemeinsamen Komposition einer Messe für Rossini eingeladen. Drei Jahre später schrieb er an den Komponisten Alberto Mazzucato: “Ich liebe keine Überflüssigkeiten, und Totenmessen gibt es so viel, so viele! … Unnötig, noch eine mehr zu komponieren.” Als jedoch im Mai 1873 der italienische Nationaldichter Alessandro Manzoni starb, entschloss sich Verdi, ein Requiem zu schreiben. “Es war einfach ein Impuls, besser gesagt, ein Herzensbedürfnis, was mich trieb, nach besten Kräften diesem Großen Ehre zu erweisen…”
Verdis “Messa da Requiem” ist ein Werk mit gewaltigen, geradezu monumentalen Dimensionen, was seine Besetzung und die machtvolle Wirkung angehen, die es auf den Hörer und die Hörerin ausübt. Sowohl der dramaturgische Aufbau als auch die extremen Dimensionen des Orchesterapparates und der Chorbesetzung weisen auf seine Bestimmung für konzertante Aufführungen hin. Dass Verdi das Stück in relativ kurzer Zeit fertig stellte, deutet darauf hin, wie viel bereits vor dem Beginn der Arbeit für ihn “im Kasten” war. So revidierte Verdi das “Libera me” aus der “Rossini-Messe” und verwendet thematische Elemente daraus auch für andere Sätze des Requiems. Markantestes Beispiel dafür ist das machtvolle, ungestüme “Dies irea”, das gleich mehrfach zur Anwendung kommt, nicht nur im “Libera me”. Bereits zu Beginn des Werkes entlädt es sich als geradezu erschreckender Kontrast zum sehr verhalten gesungenen “Requiem Aeterna” und dem fast verzweifelten Flehen “Kyrie eleison”. Im “Confutatis” folgt es direkt auf die Bass-Arie.
Für Gianandrea Noseda, den Dirigenten dieser Aufnahme, ist das Verdi-Requiem nicht das Werk eines Gläubigen, wohl aber das eines sehr spirituellen Menschen. Anders als das “Deutsche Requiem” von Johannes Brahms als einer großen Meditation über die Toten, wende Verdis Requiem sich an die lebenden Menschen. “Verdis Verhältnis zu Gott ist nicht von Furcht geprägt, sondern er fordert ihn geradezu heraus”, sagt Noseda. “Du musst mich erlösen, weil ich es dir sage…‘ – das war die Art ihrer Beziehung”. Und genau dieser Ansatz Gianandrea Nosedas charakterisiert auch die ganze Aufnahme des Requiems, die 2013 während des Verbier Festivals entstand: rasant und mit Furor führt er den Coro Teatro Regio Torino durch die “Tour de Force” solcher Sätze wie etwa das “Dies irae” oder etwa das “Sanctus” mit seiner gewaltigen Fuge, die für jeden Chor eine Herausforderung sind. Mit den Solisten Maria Agresta, Daniela Barcellona, Piotr Beczała und Ildar Abdrazakov gelingt die Darstellung des Verdi-Requiems als große und bedeutendste Vertonung der lateinischen Totenmesse des 19. Jahrhunderts, das nicht von ungefähr oft auch als “Verdis beste Oper” bezeichnet wird.