Eugen Jochum machte nie ein großes Aufhebens um seine Person. Durchdrungen von religiösem Glaube, sah er sich eher in der Rolle eines Vermittlers. Musik war für ihn ein Geschenk, und als künstlerisch begabter Mensch begriff er es als seine Pflicht, die Schönheiten überlieferter Klangwelten zu erfassen und weiterzugeben.
“Meine musikalische Begabung”, so der große Dirigent selbst, “betrachte ich als Geschenk von oben. Ich möchte, dass sie nie Selbstzweck werde, und ich glaube, dass ich die Aufgabe habe zu dienen – Medium zu sein für die Gedanken der großen Meister, die ihrerseits Gedanken des höchsten Wesens aussprechen.”
Emotionale Gesten: Eugen Jochum (1902–1987)
Ironischerweise war es dann gerade seine berührende Demut, die ihn mit einer geheimnisvollen Aura umgab. Der 1902 in Babenhausen im Unterallgäu geborene Maestro war schon zu Lebzeiten eine Legende. Als Gründer des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks und als erster Dirigent, der alle Bruckner-Sinfonien auf Schallplatte aufnahm, hat Eugen Jochum Klassikgeschichte geschrieben.
Bruckners Sinfonien stattete er mit einer mystischen Tiefe aus, die bis heute ihresgleichen sucht. Geduldig zieht er die langen Linien des österreichischen Komponisten aus und lässt keine emotionale Geste dieser spätromantischen Orchesterklänge unberücksichtigt. Doch wie seine soeben erschienene Gesamtedition bei Deutsche Grammophon zeigt, reichen Jochums musikalische Fähigkeiten wesentlich weiter.
Seine Gabe, aufs Ganze zu gehen und dem Geist einer Partitur intuitiv näher zu kommen, bewährt sich auch bei Haydn, Mozart oder Beethoven, bei Wagner, Mahler oder Richard Strauss. Man hat bei Jochum stets das Gefühl, dass er zum Kern eines Komponisten vordringt, und das verleiht seiner Interpretationskunst eine zeitüberdauernde Gültigkeit.
Glänzende Edition: Wiederentdeckung eines Meisterdirigenten
Die limitierte Edition “Eugen Jochum – Complete Recordings on Deutsche Grammophon, Vol. 1: Orchestral Works” erscheint im Vorausblick auf den 30. Todestag des bayerischen Dirigenten und umfasst 42 CDs, darunter komplette Zyklen der Sinfonien von Beethoven, Brahms und Bruckner (Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks/Berliner Philharmoniker) – allesamt meisterhafte Aufnahmen, die Jochum als Genius romantischer Orchestermusik ausweisen.
Dazu finden sich viele Raritäten in der Sammlung, zum Beispiel die erstmals in Stereo erscheinende Aufnahme von Beethovens Violinkonzert aus dem Jahr 1959, mit Wolfgang Schneiderhan an der Geige. Als Seltenheit ragen ferner heraus: die erstmals auf CD erscheinenden Einspielungen von Haydns Sinfonie Nr. 103 und Webers “Oberon”-Ouvertüre. Eine Perle der besonderen Art ist die CD mit Werken von Karl Höller, denn Eugen Jochum nur höchst selten zeitgenössisches Repertoire aufgenommen.
Besonders die filmisch anmutenden Sweelinck Variationen des weithin unterschätzten Höller sind in ihrer fließenden Zartheit eine wahre Entdeckung. Als reichhaltiger Schatz, der die Ausgabe auch für Sammler interessant macht, erweist sich das Booklet. Es wartet mit seltenen Fotos von Eugen Jochum auf und enthält einen brillanten Essay des britischen Musikschriftstellers Nigel Simeone. Das i-Tüpfelchen der Ausgabe bilden schließlich die CD-Hüllen, die dem Cover-Design der Ersterscheinungen nachempfunden sind.