Matthias Goerne mag sich am liebsten auf Fotos, wenn er ganz ernst blickt. Schade eigentlich, denn der Sänger kann mit den Augen sprechen und verschmitzt lächeln. Ein ganz normaler junger Mann – wäre da nicht diese ganz und gar nicht normale Stimme, meint Barbara Eben-Winterstetter. Sie sprach mit dem Bariton in Hamburg.
KlassikAkzente: Was muss man heute als Sänger an sich haben, um sich im aktuellen Musikgeschäft durchzusetzen?
Matthias Goerne: Allen voran braucht man ganz einfach eine gute Stimme. Und zwar von Natur aus. Ich habe dieses Geschenk erhalten und weiß wohl, wie dankbar ich dafür sein muss. Aber ich hatte auch Glück mit dem Elternhaus, denn ich stamme aus einer Familie von Musikern. Und sie hat gewusst, wie sie meine musikalische Begabung am besten fördern konnte. Ich hatte aber auch Glück mit der Ausbildung. Mein Lehrer Hans Beyer in Leipzig hat mir von Anfang an eine sehr anspruchsvolle Gesangstechnik beigebracht – und erst auf der konnte ich eigene Interpretationen aufbauen. Und dann sind da natürlich auch noch meine Lehrer Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich Fischer-Dieskau.
KlassikAkzente: Früher gab es noch mehr Personenkult um die Stars. Braucht man heute gewisse Charaktereigenschaften, die einem helfen, durch Höhen und Tiefen zu kommen?
Matthias Goerne: Aber ja. Die Zeit der Primadonnen und großen Stars mit tausend Allüren ist ganz einfach vorbei – abgesehen von einigen wenigen Exemplaren. Mir persönlich liegt das auch gar nicht. Für mich ist es entscheidend, dass ich hart sein kann zu mir selbst und diese Fähigkeit auch dann nicht verliere, wenn ein Konzert ein einhelliger Erfolg war. Es ist im Singen wie an der Börse – es geht auf und ab und dabei muss ich meine innere Balance halten und mein eigenes Einschätzungsvermögen nicht verlieren.
KlassikAkzente: Sie singen verhältnismäßig wenig Oper – ist das Lied für Sie bedeutender?
Matthias Goerne: Zurzeit ja. Ich bin im Liedgesang einfach mehr zu Hause. Jedes Lied ist ein Mikrokosmos und bietet mir im Konzert unendlich viele Entfaltungsmöglichkeiten. Dass Fischer-Dieskau mehr Lied- als Opernsänger war, ist eine Mär, die nicht stimmt. In meinem Fall trifft das allerdings zu. Zurzeit mache ich immerhin schon eine Opernproduktion im Jahr. Aber was ich nicht mag, ist diese bunte Mixtur im Repertoire, heute den Pagageno, morgen den Barbier – und das womöglich noch in der x-ten Wiederholung des Werkes. Wo bleibt da die individuelle Note? Dabei hat man ja gar keine Chance mehr, etwas Eigenes zu entwickeln.
KlassikAkzente: Und doch findet man auf Ihrer aktuellen Einspielung nur Opernarien. Fast nur Partien, die Sie schon auf der Bühne verkörpert haben.
Matthias Goerne: Diese CD umreißt genau mein Repertoire für die Opernbühne. Ich finde, man sollte als Sänger grundsätzlich nur Dinge aufnehmen, die man im Alltag auch auf der Bühne singen kann. Das hängt auch damit zusammen, dass ich keine Einzelhäppchen mag, sondern immer das Verständnis für die ganze Rolle, für den Zusammenhang im Werk suche.
KlassikAkzente: Sie sind dafür bekannt, dass Sie sich Ihr Repertoire in der Oper sehr genau aussuchen. Welche Kriterien spielen dabei eine Rolle?
Matthias Goerne: Es ist richtig, dass mich viele Rollen in meinem Repertoire nicht ansprechen. Ich habe zum Beispiel nichts gegen Mozart – finde den Don Giovanni oder den Papageno sogar faszinierend. Aber mit dem Guglielmo in “Così fan tutte” kann ich nichts anfangen. Das betrifft weniger die Musik als vielmehr den Charakter, der sich weder weiterentwickelt noch irgendwelche besonderen Eigenschaften aufweist. Ich muss mich auf der Bühne bedingungslos mit dem Menschen identifizieren können, den ich darstelle, er muss mich in jeder Faser berühren, ansprechen und interessieren.
KlassikAkzente: Rollen mit Charakter, Rollen, die vielschichtig sind. Es ist eigentlich kein Wunder, dass Sie immer wieder Alban Bergs Wozzeck als Ihre ganz persönliche Lieblingspartie angeben. Was zieht Sie an dieser Partie so an?
Matthias Goerne: Wahrscheinlich, dass sie sich nicht festlegen lässt. Es ist eine gewisse Art von Verzweiflungsheiterkeit, die diesen Getriebenen prägt. Das ganze Stück hat eine unglaubliche Wucht und eine Qualität, die es zu einem Jahrhundertwerk macht, für den Beginn des 20. Jahrhunderts sogar zu einem Schlüsselwerk. Es läutete eine neue Epoche ein, fügte in der Musik eben das Quäntchen Fortschritt hinzu, das nötig ist, um eine Weiterentwicklung zu betreiben. Aber ich würde selbstverständlich nie Epochen miteinander vergleichen – Wagner zum Beispiel hat seiner Epoche der Spätromantik die absolute Krone aufgesetzt.
KlassikAkzente: Auf der CD sind Sie als Wolfram im “Tannhäuser” zu hören – wie stehen Sie persönlich zu Richard Wagner und könnten Sie sich vorstellen, im Wagner-Fach weiterzumachen?
Matthias Goerne: Wagner mag zwar sicher ein schwieriger Mensch gewesen sein, und viele seiner Äußerungen sind problematisch – aber das, was er als Komponist und gleichermaßen als Librettist geschaffen hat, ist absolut einmalig. Er hatte ein unglaubliches Gespür für das Theater. Seine Musikdramen sind groß, weil sie so unglaublich vielschichtig sind, weil man immer mehr versteht, je öfter und je tiefer man in sie eindringt. Ich finde viele Partien bei Wagner sehr spannend – natürlich trifft das in besonderem Maße auf den “Ring” zu. Die Partien erfordern aber auch eine unglaubliche Konzentration. Für solche Herausforderungen der Zukunft möchte ich mir genug Zeit lassen.
KlassikAkzente: Ihre Vorliebe für die Romantik fällt auch im Lied-Repertoire auf. Schubert und Schumann bestimmen da Ihre Programme immer wieder. Und auf der neuen CD-Einspielung engagieren Sie sich für Werke, die man entweder höchst selten auf der Opernbühne sieht oder die gerade wieder ausgegraben werden – ich denke da an Engelbert Humperdincks “Königskinder” oder Erich Wolfgang Korngolds “Die tote Stadt”. Für mich persönlich sind die beiden Ausschnitte der Höhepunkt der neuen CD.
Matthias Goerne: Auch ich habe eine ganz besondere Beziehung zu dieser Musik. Im Grunde ist sie nichts anderes als Kitsch auf höchstem Niveau – wenn man das Wort “Kitsch” einmal nicht negativ sehen will, sondern es im Sinne von “Ohrwurm” versteht. Was im Ohr bleibt, eine effektvolle Musik, große Kantilenen, geschmeidige Melodien von immenser Einfallskraft – was sollte daran schlecht sein? Ich kann mich dieser Musik nicht entziehen, sie spricht mich auch emotional tief an. Das sind Dinge, die ich selbst gerne so komponiert haben würde.
KlassikAkzente: Wenn Sie Lied singen, fällt es auf, dass Sie in den meisten Fällen mit hochrangigen Pianisten zusammenarbeiten. Was ist es, was die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet etwa mit einem Alfred Brendel auszeichnet?
Matthias Goerne: Zuerst will ich sagen, dass ich wirklich sehr stolz darauf bin, dass ich nach Dietrich Fischer-Dieskau der Einzige bin, mit dem Alfred Brendel zusammenarbeitet. Es ist etwas ganz Spezielles, auf das ich nicht verzichten möchte. Natürlich ist die Herangehensweise eines Alfred Brendel eine viel solistischere, da steckt ein viel strafferer Zug dahinter, was für mich bedeutet, dass ich bestimmte Details nicht machen kann. Die völlig gleichberechtigte Position von Sänger und Pianisten in einem solchen Fall führt zu einer Art von Reibung im positiven Sinn. Das löst dann einen höchst kreativen Prozess aus, der immer wieder zu Neuentdeckungen führt – und dafür nehme ich es gerne in Kauf, dass die Zusammenarbeit auch mal viel Energie kostet.
KlassikAkzente: Gibt es neben der Musik auch einen privaten Matthias Goerne?
Matthias Goerne: Wer Sänger wird, muss das tun, weil es das Liebste ist, was er tut. Meist bleibt nicht viel Zeit zwischen einem Gastspiel hier und einer Tournee da. Dennoch würde ich es mir nicht nehmen lassen, gut Essen zu gehen und zu genießen. Ich koche außerdem selbst leidenschaftlich gerne. Und auf meine zwei Hunde lasse ich nichts kommen, auch wenn ich mich nicht so häufig um sie kümmern kann.
KlassikAkzente: … weil wieder neue Pläne anstehen. Wann bekommen wir wieder Goerne live zu erleben – und womit?
Matthias Goerne: Im Liedbereich geht es weiter mit Schubert, aber auch mit Mahler-Zyklen. Ich werde auch wieder gemeinsam mit Alfred Brendel auftreten, mit Eric Schneider und Christoph Eschenbach. Und zwar vom Concertgebouw Amsterdam bis zur Alten Oper Frankfurt und der “Schubertiade” Feldkirch. Auch die Salzburger Festspiele stehen wieder an und 2002 werde ich in Covent Garden auftreten.