Die Dämmerung ist eine mystische Tageszeit, nicht mehr ganz Tag, noch nicht ganz Nacht. Seit jeher hat diese besondere Phase auch die Künstler inspiriert. “Im Abendrot” heißt das neue Album von Matthias Goerne, auf dem sich der renommierte Bariton der Dämmerung einer Gattung zuwendet und mit Liedern von Richard Wagner, Richard Strauss und Hans Pfitzner verschiedene Stücke vereint, die das Ende einer Ära im Liedgesang markieren. An seiner Seite zu hören ist der Pianist Seong-Jin Cho, womit Goerne die Zusammenarbeit mit herausragenden jungen Pianisten unserer Zeit fortsetzt, die er bereits mit seinem erfolgreichen Beethoven-Album mit Jan Lisiecki begonnen hat. Das neue Album “Im Abendrot” erscheint am 16. April bei Deutsche Grammophon.
Im Zentrum des neuen Albums steht die besondere Ära der Spätromantik in der Gattung des Lieds – klanggewaltig zu erleben in verschiedenen ausgewählten Werken von Richard Wagner, Richard Strauss und Hans Pfitzner. Für Matthias Goerne sind die Stücke des Albums allesamt Lieder, die “beherzt davon sprechen, was es heißt, ein Mensch zu sein”, wobei die Werke zwar von Komponisten stammten, deren Lebzeiten sich überschnitten, sie gleichzeitig aber in vielerlei Hinsicht unterschiedlich seien.
Mit den Wesendonck-Liedern von Wagner stehen fünf Lieder aus den späten 1850er Jahren am Beginn des Albums. In Wagners Schaffen, das vor allem auf Opern konzentriert war, stechen diese Lieder zu Gedichten von Mathilde Wesendonck deutlich heraus, wobei sie gleichzeitig Vorboten von Wagners Meisterwerk “Tristan und Isolde” sind. Bei Mathilde Wesendonck handelte es sich um die Frau von Wagners Mäzen Otto Wesendonck, in die sich Wagner während seines Exils in Zürich leidenschaftlich verliebte. Ihre gefühlvollen und raffinierten Texte hat der Komponist entsprechend hingebungsvoll vertont. Angelehnt an die Tonsprache eines Liszt oder Chopin, lässt Wagner hier die opernhaften Themen des Glücks im Schmerz und der Erlösung durch den Tod in sinnlich düsteren Klangfarben leuchten, die bereits die Magie des späteren Tristan erahnen lassen. So wird etwa im Stück “Im Treibhaus” die innere Weltflucht idealisiert und erinnert das Lied “Träume” an das große nächtliche Liebesduett am dem Zweiten Akt des “Tristan”.
Nach Wagner erklingen verschiedene ausgewählte Lieder von Hans Pfitzner, basierend u.a. auf Gedichten von Heinrich Heine und Joseph von Eichendorff, die eindrucksvolle Beispiele für die spätromantische Kompositionskunst darstellen. Lieder wie das ruhelose, aufgewühlte Stück “Stimme der Sehnsucht”, “An die Mark” oder “Nachts” erzählen von der Einsamkeit des Menschen, der Unmöglichkeit der Liebe und der Weite der Landschaften und ziehen ebenso tragisch wie intensiv in den Bann.
In den Stücken von Richard Strauss schließlich folgt auf die Düsternis der Lieder Pfitzners eine fast grell wirkende Farbigkeit, wobei die Stücke wie “Traum durch die Dämmerung”, “Morgen!” oder das titelgebende “Im Abendrot” mit mal dramatischen, mal elegischen Wendungen faszinieren.
Es ist ein denkbar breites und farbenreiches Programm, das Matthias Goerne und Seong-Jin Cho auf dem neuen Album miteinander musikalisch durchschreiten. Dabei zeigen sich die beiden Musiker als eingespieltes und versiertes Duo, das den Kontrastreichtum und die emotionalen Extreme der verschiedenen Lieder eindrucksvoll auslotet. Mit unmittelbarer Präsenz und kraftvollem Ton lässt Matthias Goerne die unterschiedlichen Gefühlszustände erfahrbar werden und wird dabei von Seong-Jin Cho als brillantem Techniker und feinsinnigem Duopartner farbenreich begleitet.