Es gehört zu den gern bemühten Klischees, dass der Künstler erst dann richtig wesentlich wird, wenn er leidet. Robert Schumann zum Beispiel hat dieses romantische Vorurteil des Getriebenen mit seiner Biographie untermauert. Als es daran ging, das Werben um die geliebte Clara Wieck, deren Vater sich hartnäckig gegen die Liaison sträubte, zu intensivieren, lief er 1840 zur Hochform auf und komponierte ein Lied nach dem anderen, zumeist als verschlüsselte, lyrisch-musikalische Botschaften an die Herrin seines Herzens. Matthias Goerne hat aus dem Liederjahr, aber auch aus späteren Kreativitätsphasen ein Recital mit 25 Kapiteln zusammengestellt, das sich vor allem den verhaltenen, geheimnisvoll durch seine Werke hindurchblitzenden Schumann widmet.
Am 12. September 1840 war es endlich soweit. Robert Schumann und Clara Wieck konnten heiraten, auch gegen den Willen des starrköpfigen Vaters, der in seinem Schwiegersohn einfach nicht das empfindsame Genie zu erkennen vermochte. Bei dieser Gelegenheit überreichte der Bräutigam seiner frisch Angetrauten ein hübsch gebundenes Bändchen mit all den Liedern, die er in den vergangenen Wochen und Monaten in der Hoffnung auf das glückliche Ereignis geschrieben hatte. Clara verstand die Sprache ihres Mannes, galt sie doch selbst als eine der großen Virtuosinnen ihrer Zeit am Klavier. Der Höhenflug der Liederkunst hielt noch ein paar Monate an, – im Januar 1841 bearbeiteten die beiden gemeinsam etwa Lieder Rückerts wie den “Liebesfrühling” – dann war das Medium zunächst ausgereizt und Schumann wandte sich Orchestermusik, Kammermusik und anderen Vokalwerken zu. Erst von 1847 an arbeitete er wieder ernsthaft an der kleinen Form, diesmal mit Gedichten unter anderem von Nikolaus Lenau, der ähnlich Hölderlin als geistig verwirrt galt. Man mag es als Zeichen sehen, jedenfalls ließ auch seine eigene Verfassung spätestens seit 1854 zusehend nach, geplagt von Depressionen und Wahnideen.
Die vergleichsweise kurzen Phasen ungehemmter Schaffenskraft jedoch brachten eine verblüffende Menge großartiger Werke hervor. Allein im Liederjahr 1840 hat Schumann rund 150 Lieder komponiert und so hatte der Bariton Matthias Goerne die Qual der Wahl, als er sein Schumann-Recital zusammenstellte. Erfahrung mit dem Repertoire konnte er bereits genug vorweisen. 1967 in Leipzig geboren, begann er noch zu DDR-Zeiten seine Laubbahn als Lied-Sänger begann. Nach den Jugendzeiten im Kinderchor des Städtischen Theaters von Chemnitz, hatte Goerne 1985 sein Studium bei Hans-Joachim Beyer (Leipzig) angetreten. Da er sich als ungewöhnlich begabt herausstellte, wurde er bald an Kapazitäten wie Dietrich Fischer-Dieskau und Elisabeth Schwarzkopf als Lehrmeister vermittelte. Nach der Wende gewann er 1990 den Hugo Wolf Wettbewerb, arbeitete sich über regionale Jobs in die Szene hinein und wurde seit Mitte der Neunziger auch an größere Häuser eingeladen. Sein Salzburg-Debüt gab er 1997 als bunt gefederter Papageno, die erste Hauptrolle in einer Oper wurde ihm 1999 in Zürich mit Bergs “Wozzeck” angetragen.
In den vergangen zwei Jahren fiel er vor allem als Duo-Partner von Altmeister Alfred Brendel am Klavier auf, der von der akkuraten Artikulation, vielfältigen Farbgebung und dramatischen Überzeugungskraft Goernes besonders angetan war. Schumann allerdings wurde zusammen mit Eric Schneider im vergangen Oktober im Neumarkter Reitstadel aufgenommen. Es schließt inhaltlich den Kreis von 1840–49 und ist gleichzeitig eine weitere Wegmarke in Goernes Schumann-Rezeption, der bereits die Sammlungen “Dichterliebe”, “Liederkreis op. 39” und “12 Gedichte op.35” vorausgingen. Einmal mehr präsentieren die “Schumann-Lieder” den ernsten Bariton als einen der führenden Interpreten romantischer Vokalmusik, der es versteht, dem diffizilen Repertoire zur passende Intensität, Intimität zu verhelfen.