Matthias Goerne hat es geschafft. Über ein gutes Jahrzehnt hinweg hat er den Weg an die Spitze gefunden und gehört zu den auserlesene Sängern, die weltweit regelmäßig und umjubelt in den Sälen der Hochkultur gastieren. Eines dieser Konzertereignisse fand in der Londoner Widmore Hall statt. Mit Alfred Brendel am Klavier sang Goerne Schuberts “Winterreise”. Die Decca war dabei und hat diese faszinierenden Momente festgehalten.
Manchmal hilft das Glück ein wenig nach, damit sich die richtigen Partner zum passenden Zeitpunkt begegnen. Irgendwann Ende der Neunziger bei einem der vielen Konzert, die der Bariton Matthias Goerne gegeben hat, saß eine Pianist im Publikum, den zu den strengsten Autoritäten seines Fachs gehört. Der ältere Herr war von dem so angetan, was er auf der Bühne hörte, dass es ein positives Nachspiel gab: “Brendel hat mich angerufen und gefragt: Wollen wir ein paar Konzerte machen? Er hatte zwei meiner Abende gehört und sprach mich eben an. Das kann nur so laufen. Sicher habe ich mir gewünscht, mit ihm zu arbeiten. Aber das tun noch Tausend andere. Daher kann man letztlich nur darauf vertrauen, dass man irgendwann zusammen kommt. Darüber hinaus gibt ein paar Punkte, die in einer Musikerbiographie wichtig sind und diese Entwicklung unterstützen. Das ist erstens: andere neben sich gelten lassen. Dazu kommt eine realistische Selbsteinschätzung, was man tun und lieber lassen sollte. Kritische Distanz, um sich orientieren zu können. Genau das ist bei Brendel der Fall. Er ist weder mein Lehrer, noch bin ich sein Schüler. Wir stehen gemeinsam auf der Bühne und da geht es um Geben und Nehmen, um partnerschaftliche Zusammenarbeit. Denn Brendel ist nicht nur ein großer Solist, sondern auch ein starker Willensmensch. Er geht hart, entschlossen, mit aller Macht seinen Weg. Die Details fliegen einem um die Ohren, dass man sie kaum realisieren kann. Das schafft eine Form von Reibung, die herausfordert und neue Einsichten produziert.”
Der folgenreiche Telefonanruf ist jetzt fünf Jahre her. Es war der Schlusspunkt der Lehrjahre für den 1967 in Leipzig geborenen Bariton, der noch zu DDR-Zeiten seine Laubbahn als Lied-Sänger begann. Nach den Jugendzeiten im Kinderchor des Städtischen Theaters von Chemnitz, hatte er 1985 sein Studium bei Hans-Joachim Beyer (Leipzig) begonnen. Da er sich als ungewöhnlich begabt herausstellte, wurde er bald an Kapazitäten wie Dietrich Fischer-Dieskau und Elisabeth Schwarzkopf als Lehrmeister vermittelte. Nach der Wende gewann er 1990 den Hugo Wolf Wettbewerb, arbeitete sich über regionale Jobs in die Szene hinein und wurde seit Mitte der Neunziger auch an größere Häuser eingeladen. Sein Salzburg-Debüt gab er 1997 als bunt gefederter Papageno, die erste Hauptrolle in einer Oper wurde ihm 1999 in Zürich mit Bergs “Wozzeck” angetragen. Sein Hauptinteresse lag jedoch von Anfang an auf dem Kunstlied. Und so war die Liaison mit Brendel ein Glücksfall, der sich zu einer professionellen Musikpartnerschaft ausweitete. Wie sehr sie sich inzwischen interpretatorisch ergänzen, dokumentiert die Aufzeichnungen eines Konzertes aus der Londoner Wigmore Hall. Denn Brendel und Goerne haben ein dunkles Meisterwerk der Romantik ausgewählt, Schuberts Liederzyklus “Die Winterreise” nach den Gedichten von Wilhelm Müller. Und sie widmen sich den melancholischen Versen mit allem Ernst, der der Sache geziemt.