Wer Lieder singt, lässt seine Seele sprechen. Kaum eine andere musikalische Gattung fordert vom Interpreten eine solche intime Ausdruckskraft, die nur auf höchstem Niveau den Sprung vom Privatgeträller zum konzertfähigen Kunstereignis schaffen kann. So hat auch der Gesang auf der jetzt bei DECCA erschienenen Aufnahme der “Schönen Müllerin” nichts mit dem zu tun, was gelegentlich aus Badewannen schallt. Selbst Vergleiche mit namhaften Sängern hinken sofort aus dem Hörbereich, wenn es die Seele des Baritons Matthias Goernes ist, die sich da verlautbart.
Wilhelm Müller ist nicht der leibliche sondern der literarische Vater der schönen Müllerin. Seine Worte sind voll von romantischer Schwermut, unerfüllter Liebe und Todesnähe. Und da diese Attribute ziemlich genau die Gefühlslage des hoffnungslos an Syphillis erkrankten Franz Schubert ausdrücken, werden diese Worte in den Jahren 1823 und 24 zu Liedern, die zu dem Bedeutendsten gehören, was die abendländische Kunstliedtradition hervorgebracht hat.
Bereits die ersten Lieder werden in ihrer starken Subjektivität zu kunstvollen Arien. Genauso dicht, wie solche romantische Empfindung mit der Natur verbunden ist, sind Matthias Goerne und der Pianist Eric Schneider nahezu symbiotische Partner. Leicht und beschwingt in Rhythmus und Text zieht ein Wanderer vorbei. Goernes wohltuende Stimme trägt diese Melodie mit Lebenslust und es ist auch diesmal nicht die Badewanne, die dazu plätschert, sondern der Mühlbach, mit dessen Rauschen der Pianist durch den ganzen Liederzyklus begleitet.
Der Anblick der Mühle bringt die Stimme des Wanderers zunächst in freudige Erregung. Als die Müllerin erscheint kommen dann fragile Zärtlichkeiten in hohen Lagen hinzu, bis schließlich das Drängen der Leidenschaft die ganze Klanggewalt Goernes freisetzt, natürlich nicht hemmungslos, sondern kultiviert, wie es sich einer Dame gegenüber gehört.
Später erinnert er sich an ihre Worte, und aus seiner Stimme wird wie aus unwirklicher Ferne ihre Stimme, so dass der berechtigte Eindruck entsteht, dass er ihr in seiner Fantasie wohl schon näher gekommen war, als es tatsächlich der Fall war.
Von nahezu mozärtlicher Unbefangenheit sind dann kurze Melodiebögen, kurze Gedanken, die immer wieder unterbrochen werden. Nur der Bach kann diese Gedanken verbinden, denn es ist ihr Bach. So befragt der Wanderer also ihn, ob er sich in der gegenseitigen Liebe wohl geirrt hätte. Schneider antwortet am Klavier mit bedeutungsvollen, dunklen Akzenten und trübt durch harmonische Brechungen die liedhafte Unschuld.
Unbeeindruckt davon macht der Wanderer seine Umwelt zu Boten seiner Liebe: Er wendet sich an Zettel, Blumen und Vögel, um auf solchen Umwegen der Angebeteten seine Liebeserklärung zu übermitteln und singt verliebt aus voller Brust “dein ist mein Herz”. Gleichklang tatsächlich in Gesang und Klavier, wenn von beider Lieblingsfarbe Grün die Rede ist. Sollte es doch Hoffnung geben?
Seine Zweifel sorgen schon bald für sehnsuchtsvolle Klänge. Mit scheinbar hypnotischen inneren Bildern beschreibt Goerne, wie sie ihm den Korb gibt und er ihr unter Tränen Blumen hinein legt. Jede Strophe ist lebendig durch den Gestaltungsreichtum, der nicht nur von Schubert, sondern auch von Goerne und Schneider ausgeht. Es ist kaum zu ertragen das süsse Leiden, das unermüdliche und dabei unerwiderte Werben mit so bewegender Musik voller Zärtlichkeit und Poesie.
Die schöne Müllerin, und das ist das Schlimme an der Sache, will aber keinen Poeten. Sie will lieber einen Mann, der schießen kann. Und weil dieser Mann ein Jäger ist, verhasst sich jenem aus Eifersucht auch seine Lieblingsfarbe. Überraschende Moll-Einbrüche der tränenreichen Klage stechen jeden ins Herz, der schon mal unglücklich verliebt war.
Trockene Blumen formieren sich schließlich zu einem Trauermarsch. Schneider wirft diese Blumen in einem pietätsvollen Ritual einzeln vor den empfindsamen Sänger. Der Tod ist nunmehr die einzige Hoffnung, seiner tragischen Wanderschaft ein Ende zu machen. Und es geht noch zerbrechlicher: Der schmerzvolle Abschied, bevor er sich im Bach ertränkt ist kaum Gesang, eher klingender Schmerz, ist Musik, die kurz davor ist, sich selbst zu überwinden. Plötzlich steigt das Klavier abwärts und verstummt ohne eigentlichen Schluss nasskalt in der Tiefe.
Es ist durchaus denkbar, diese Musik in der Badewanne zu hören. Man sollte sich aber darauf einstellen, dass man danach mit des Wanderers Worten resümieren muss: “ich kann nicht mehr singen, mein Herz ist so voll”.