Ihr Temperament ist legendär. Wenn Martha Argerich ans Klavier tritt, dann sprühen die Funken. Ihr Spiel gleicht einem Feuerwerk. Es ist farbenprächtig und energiegeladen, poetisch und leidenschaftlich.
Die Spannung hat nie nachzulassen bei Martha Argerich, und das gilt sogar noch für die reife Künstlerin, die im kommenden Jahr 75 Jahre alt wird. Wenn man bedenkt, was sie zuletzt geleistet hat, dann mutet ihr Lebensalter erstaunlich an. Alben wie das gemeinsam mit Daniel Barenboim aufgenommene “Piano Duos” (2014) oder der Live-Mitschnitt aus Verbier “Martha Argerich – Carte Blanche” (2015) zeugen von ihrer ungebrochenen Vitalität am Flügel.
Klassischen Status hat jetzt schon ihre Aufnahme von Mozarts Klavierkonzerten in C-Dur (KV 503) und d-Moll (KV 466). Der Live-Mitschnitt vom Lucerne Festival 2013, wo sie unter Begleitung des Orchestra Mozart und seines Dirigenten Claudio Abbado einen fulminanten Auftritt hinlegte, wurde vom Preis der Deutschen Schallplattenkritik in die Bestenliste 02/2014 aufgenommen. Von Altersmüdigkeit kann bei Martha Argerich also keine Rede sein, und doch bietet ihr am 5. Juni kommenden Jahres anstehender 75. Geburtstag eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen.
Das hat Deutsche Grammophon getan und mit “Martha Argerich: The Complete Recordings on Deutsche Grammophon” eine exklusive Sammeledition vorgelegt, die erstmals einen Überblick über das gewaltige Schaffen der schillernden Argentinierin gestattet. Die Ausgabe umfasst 48 CDs und bündelt sämtliche Aufnahmen, die Martha Argerich für das Gelblabel und Philips getätigt hat, darunter auch die erwähnten Einspielungen aus den letzten Jahren mit Daniel Barenboim und Claudio Abbado.
Zeitlich umspannen die Aufnahmen ein halbes Jahrhundert (1960–2014), und wenn man sich die Künstler anschaut, mit denen Martha Argerich zusammengearbeitet hat, dann stößt man fast ausschließlich auf Größen, die das Klassikgeschehen der letzten 50 Jahre maßgeblich geprägt haben. Das Spektrum reicht von Solisten wie Gidon Kremer, Krystian Zimerman oder Mischa Maisky bis hin zu Dirigenten wie Leonard Bernstein, Giuseppe Sinopoli oder Claudio Abbado.
Das Repertoire hat einen deutlich romantischen Akzent. Argerich hat mit großer Vorliebe gefühlsstarke Komponisten gespielt: Beethoven, Schumann, Chopin, Tschaikowsky, Rachmaninoff, Prokofieff u.a. Entsprechend viele Aufnahmen dieser Komponisten findet man in der Edition. Ein absolutes Highlight ist die Aufnahme von Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 in b-Moll aus dem Jahre 1995 (Berliner Philharmoniker/Claudio Abbado). Hier greift sie wuchtig in die Tasten und macht ihrem Ruf als feuriges Temperament alle Ehre.
Nicht minder euphorisch ist ihre Einspielung von Rachmaninoffs Klavierkonzert Nr. 3 in d-Moll aus dem Jahre 1982 (Radio-Symphonie-Orchester Berlin/Riccardo Chailly). Hier zeigt sie sich als harmonisch feingliedrige Klangkünstlerin, die jedes Detail auskostet. Das kann man auch über ihre frühen Chopin-Aufnahmen sagen, die ebenso gefühlsintensiv wie transparent klingen. Aber auch auf Bach versteht sie sich glänzend, wie zum Beispiel ihre Aufnahme der Englischen Suite Nr. 2 in a-Moll aus dem Jahre 1979 zeigt.
Bestechend ist die Ausstattung der Edition. Das fängt bei der ebenso schlicht wie elegant gestalteten Box an und gipfelt in dem umfangreichen Booklet zur Ausgabe. Das Booklet enthält Zeichnungen von Fred Münzmaier, die den Ausdruck der Pianistin einzufangen suchen und einen lebhaften Eindruck ihrer Persönlichkeit vermitteln. Hinzu kommt ein großartiger Essay von Gregor Willmes, der tief in die Musikalität Martha Argerichs eintaucht. Die argentinische Pianistin ist eine große Künstlerin, und davon zeugt die jetzt erschienene Sammeledition eindrucksvoll.