Manchmal, meinte Martha Argerich im vergangenen Jahr in einem ihrer seltenen Interviews, überkomme sie das Gefühl, ihr Leben ändern zu müssen. Schließlich werde sie bald 70 und das sei ein gewichtiges Alter. Und dann sinniert sie weiter, über Künstlerfreunde wie Mstislav Rostropovich oder Mischa Maisky, über Gegenwartsmusik und ihre Bewunderung für Kollegen, die improvisieren können, über die Fähigkeit über Musik zu reden und nicht zuletzt auch darüber, dass sie in Zukunft weniger live spielen wolle als bisher.
Tatsächlich ist Martha Argerich eine Künstlerin, die sich über die Jahrzehnte hinweg auf konsequente Art treu geblieben ist. Schon als Teenager in Buenos Aires hatte sie klare Vorstellungen davon, wie sie klingen wollte, als sie ihren späteren Mentor Friedrich Gulda abblitzen ließ und sich weigerte, ihm vorzuspielen. Und so blieb sie während ihrer gesamten Karriere, die sie zu einer der wichtigsten Künstlerinnen in der Geschichte des Instruments hat werden lassen: präzise und Detail versessen, begeistert, ja demütig der Kunst und so anspruchsvoll sich selbst gegenüber, dass nicht nur ihre Konzerte, sondern auch ihre Aufnahmen zu Meilensteinen der Klavierkultur wurden.
Virtuosität und gleichzeitige künstlerische Kompromisslosigkeit sind ihr Credo und machen sie einzigartig und legendär. Ihr „Spiel kam von jeher einem Naturereignis gleich, ist aber Ergebnis intensiven Nachdenkens über die Stücke“ (Jürgen Otten).
Martha Argerich ist so stark mit ihrem Instrument verwachsen, in der Musik so sehr in ihrem Element, dass es ihrem Wesen nach unzumutbar scheint, nicht-musikalische Verpflichtungen zu ertragen, die eine Künstlerlaufbahn mit sich bringen. Auch wegen dieser Zurückgezogenheit ist der „Mythos Argerich„ entstanden.
Da liegt es nahe, anlässlich ihres 70. Geburtstags Editionen zu gestalten, die sich in unterschiedlicher Form dem Schaffen dieser außergewöhnlichen Künstlerin widmen. Die umfassendste Form, sich die Musik von Martha Argerich anzueignen, ist sicherlich die vierteilige Boxen-Edition „The Martha Argerich Collection“. Diese stattliche Werkschau umfasst die vollständigen Aufnahmen der Pianistin auf Philips, Deutsche Grammophon und Decca in vier umfassenden Boxen. Als letzter Teil dieser beeindruckenden Dokumentation ist soeben die Sammlung mit Einspielungen von Werken von Rachmaninov, Saint-Saëns, Meschwitz, Schubert, Schumann und Bartók erschienen. Mit dieser Folge 4 sind alle Aufnahmen auf Philips erstmals unter einem Dach versammelt, opulent gestaltet und ausführlich kommentiert.
Wer sich mit einer pointierten Auswahl der markantesten Aufnahmen wohler fühlt, für den ist die Zusammenstellung „The Art Of Martha Argerich“ die beste Wahl. Auf drei CDs versammeln sich neben der Künstlerin selbst illustre Kollegen wie die Pianisten Nelson Freire und Stephen Kovacevich, der Cellist Mischa Maisky oder auch der Geiger Gidon Kremer und bieten insgesamt einen Querschnitt aus fünf Jahrzehnten Aufnahmetätigkeit. Darüber hinaus beleuchtet ein sorgfältig gestaltetes Booklet mit vielen bislang unveröffentlichten Fotos und einem Essay des Biographen Olivier Bellamy Leben und Schaffen der Künstlerin. Und für die Raritätensammler wurden darüber hinaus zwei bislang unveröffentlichte Rundfunkaufnahmen hinzugefügt. Das “Adagio” aus der späten Mozart-Sonate K 576 wurde am 23. Januar 1960 von der gerade mal 18-jährigen Argerich aufgenommen und nur wenige Monate später entstand noch im selben Jahr ein Mitschnitt von Beethovens “Rondo” aus der Sonate op. 10 Nr. 3.
Schließlich gibt es auch noch eine Sammlung, die aus der Perspektive eines engen Freundes und langjährigen musikalischen Weggefährten zusammengestellt wurde. Der Cellist Mischa Maisky wählte für „My Dearest Martha“ aus dem Zeitraum von 1967 bis 2001 und dem Stilspektrum von Johann Sebastian Bach bis Sergej Rachmaninoff Musikstücke aus, die ihm besonders am Herzen liegen und die er für Marthas Klavierspiel besonders charakteristisch hält. Auf der einen Seite stehen Monumente pianistischer Opulenz wie die Sätze aus den Klavierkonzerten von Peter Tschaikowsky und Franz Liszt, auf der anderen fragile Momente wie etwa aus den „Kinderszenen“ von Robert Schumann oder ein Prélude von Frédéric Chopin. Manche Aufnahmen bringen Argerich mit Maiskys Lehrer Mstislav Rostropovich zusammen, andere entstammen der eigenen Zusammenarbeit wie etwa der vierte Satz aus Francks „Cellosonate A-Dur“. Große Kollegen wie der Geiger Gidon Kremer und der Pianist Nelson Freire stoßen dazu, Spitzenorchester wie die Berliner Philharmoniker und Dirigenten wie Claudio Abbado, Riccardo Chailly und Giuseppe Sinopoli stehen der Pianistin zur Seite. So ist „My Dearest Martha“ eine sehr persönliche und kompetente Auswahl großartiger Aufnahme aus der Perspektive eines Verehrers von Argerichs Kunst, der zugleich zu ihren wichtigsten musikalischen Partnern zählt.
Wir gratulieren Martha Argerich zum 70. Geburtstag!