Im neuen Album “Henosis” hat Joep Beving seinen minimalistischen und romantischen Kompositionsstil zu neuen Ufern getragen. Die vielen Bewunderer seines Debütalbums “Solipsism” überrascht der Holländer mit elektronischen Sounds, in tiefgründigen und mitunter dramatischen Stücken. Der ihn so charakterisierende Klang seines Schimmel-Pianos, das er einst von seiner Großmutter erbte, schwingt durchgehend mit. Innig, filzig, holzig und warm, gibt er dem Album Erdung und Ruhepole.
“Henosis” ist ein weitgespanntes Doppelalbum mit 22 Stücken, die den Zuhörer behutsam in ihren Bann ziehen. Die Reise beginnt mit dem impressionistischen Solo-Pianostück “Unus Mundus”. Schon im zweiten Titel grundiert Beving mit analogen Synthesizern und elektronischen Räumen. In “Shepherd” traumwandelt er auf den Pfaden Erik Saties, bis er auf einem symphonischen Klang-Plateau á la Max Richter ankommt. “Venus” umhüllt er mit Streichern und Bass-Klarinetten; eine Solo-Violine seufzt klagend auf, bevor Beving mit einem melancholischen Motiv übernimmt. Wenn im letzten Drittel des Albums das Titelstück erscheint, beherrscht von wirren Synthesizern und gewichtigen Streicherklängen, sind wir “im tiefsten Weltraum, wo wir alles Materielle loslassen”, so der Künstler. “Nebula”, das er mit dem Cellisten und Komponisten Maarten Vos realisierte, gehört zu seinen bisher kühnsten, experimentellen Kompositionen.
Schon beim Komponieren zog der Amsterdamer den Produzenten Gijs van Klooster zu Rate. Die Orchestrierungen stammen teilweise vom Berliner Max Knoth, eingespielt hat sie das Babelsberger Filmorchester. Andere Stücke realisierte Beving mit dem Brüsseler Echo-Collective und mit dem Chor A-Capella Amsterdam. “Es war schon ein wenig mehr Aufwand als zu Hause ein paar Mikrophone aufzustellen”, kommentierte er augenzwinkernd.
Die Hörer, die seine Karriere seit 2015 von Album zu Album verfolgt haben, erkennen hier eine ganz logische, konsequente Weiterführung seiner musikalischen Ideen und Visionen: Vom filmischen, introvertierten Klavierspiel seines sensationellen Debüts (“einfache Musik für komplizierte Gefühle”), über die offeneren Strukturen seines zweiten Albums “Prehension” (2017), flankiert von den elektronischen Neubearbeitungen im Remix-Album “Conatus”, bis hin nun zur spacigen Atmosphäre des brandneuen Werks, in dem Beving sich die Hand mit “kosmischen Klangkünstlern” wie Hans-Joachim Roedelius reicht. Er habe Synthesizer schon immer geliebt, erzählte er dem Magazin “The Line of Best Fit”: Seinen ersten, einen Juno−60, hat er sich mit 16 gekauft.
In der griechischen Philosophie beschreibt Henosis einen absolut wahren Moment, in dem Außen- und Innenwelt völlig miteinander verschmelzen. Der “Demiurg” findet seinen “Monad”, die östlichen Weisheitslehren lassen parallel dazu “Atman” in “Brahman” fließen. Es ist schön, dass Beving dieses in heutiger Reizüberflutung und emotionaler Überspanntheit vergessene-, metaphysische, erhabene Konzept benennt. Essentiell zum Hören seiner Musik ist es nicht. Beving hat nicht den Ehrgeiz, seine Hörer zu fordern. Stattdessen möchte er “den Menschen einen Raum eröffnen, in dem sie ein paar Minuten oder auch Stunden lang fühlen, dass alles richtig ist, dass sie verstanden werden oder dass sie einfach sein dürfen.”
In Henosis lädt der 43-Jährige seine Hörer zu einem Science-Fiction-Abenteuer ein, das in der Weite und Leere des eigenen inneren Raums endet. Nur durch den Griff nach den Sternen war er in der Lage, tief ins Innere einzutauchen, beschreibt er. Vier Jahre nach Beginn seiner außergewöhnlichen Karriere, die für ihn selbst ganz überraschend mit 85 Millionen Streams begann, hat er die erste Etappe beeindruckend gemeistert. Seine stärkste persönliche Erfahrung beim neuen Album sei es gewesen, “sich ganz dem Schaffensprozess hinzugeben, dem Werden zu vertrauen”, sagte Beving. Mit Henosis hat er den Horizont seines Schaffens verblüffend erweitert.