Irgendwann in der Karriere eines Musikers kommen die Tage, wo er es sich aussuchen kann, was er macht. Der chinesische Cellist Jian Wang gehört längst zur Weltspitze der Interpreten und er bekam das Angebot, eine CD ganz nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Er nütze die Carte Blanche für ein privates Kapitel Musik, denn er stellte ein Programm mit Kompositionen aus verschiedenen Stilrichtungen zusammen, die ihn während seiner Laufbahn als Musiker begleiteten. Als Partner wählte er sich einen renommierten Kollegen an der Gitarre, den Schweden Göran Söllscher, der seinerseits dafür bekannt ist, weltoffen mit den unterschiedlichsten Vorlagen umgehen zu können. So entstand “Reverie” mit Melodien von Franz Schubert bis Heitor Villa-Lobos, von Astor Piazzolla bis Liu Rong Fa.
Bis es dazu kam, gingen allerdings zahlreiche Überlegungen ins Land. Denn die Kombination anderer Instrumente mit dem Klang des Cellos bedarf einer präzisen Vorbereitung, damit die Klangwirkung optimal wird. Jian Wang erinnert sich mit einem Lächeln an diese anstrengende, aber auch sehr inspirierende Phase der Projektplanung: “Ich dachte mir, dass es doch sehr schön wäre, mal eine andere als die übliche Instrumentierung zu haben und die Gitarre stand da an erster Stelle meiner Wunschliste wegen ihres besonders intimen Klangs.
Um dann die Aufnahme machen zu können, übte ich mehrere Monate intensiv daran, am Cello einen anderen Sound zu entwickeln als bisher. Ich versuchte, mir dabei die Klarheit und Einfachheit der Gitarre vorzustellen. Wenn ich beispielsweise zu viel Vibrato verwendet hätte, hätte mein Instrument zu voll und dramatisch geklungen und die Gitarre vollkommen zugedeckt”. Diese Arbeit wiederum war für Wang einen besondere Herausforderung, denn der chinesische Weltstar ist unter anderem dafür bekannt, ein besonders ausdrucksvoller Interpret romantischer Celloliteratur zu sein, die nun wiederum gerade auf diese Opulenz der Gefühle angewiesen ist.
Man erinnere sich nur an seinen ersten weltweit rezipierten Auftritt im Rahmen des Dokumentar-Films “From Mao To Mozart”, in dem der Geiger Isaac Stern das Land der aufgehenden Sonne und ausgehenden Kulturrevolution Ende der siebziger Jahre auf der Suche nach unerkannten Talenten bereiste. Damals spielte der gerade man zehnjährige Wang das erste Cellokonzert von Camille Saint-Saëns mit einer für den Knaben verblüffenden Intensität und Virtuosität und sorgte dafür, dass er von diesem Moment an bereits in der vorderen Liga mitspielte, auch wenn er noch einen Teil seiner Ausbildung am Konservatorium von Shanghai vor sich hatte.
Diese Tage der Profilierung sind lange vorbei. Wang kann inzwischen auf ein Ausdrucksspektrum zurückgreifen, das die ganze Bandbreite der Stilistik umfasst, auch wenn er sich nach wie vor gerne im Terrain des Wohlklangs aufhält. So wurde auch “Reverie” ein durchaus romantisches Album, das gerade in der ungewohnten Kombination der Saiteninstrumente seinen fragilen Charme entwickelt. Um die Arrangements der sehr unterschiedlichen Vorlagen aus zwei Jahrhunderten kümmerte sich Wangs Duopartner Göran Söllscher und war damit ebenfalls gefordert: “Will man zum Beispiel ein Klavierstück auf die Gitarre übertragen, dann genügt es nicht, einfach dieselben Note zu spielen”, erläutert er die Arbeit mit den 19 Kompositionen, die ihren Weg auf das Album gefunden haben. “Man muss es so gestalten, dass es wie ein Gitarrenstück klingt. Das ist kompliziert, macht aber auch Spaß, denn es gibt einige Sachen, die auf der Gitarre einfach nicht gehen. Vielleicht findet man die Tricks dafür nach vielen Jahren der Erfahrung. Villa-Lobos etwa war ein Meister darin, die Gitarre bestmöglich klingen zu lassen. Es lohnt sich, ihm etwas über die Schulter zu sehen, und die Lösungen, die er fand, auch für anderes anzuwenden”.
Alles in allem jedenfalls entstand auf diese Weise ein sehr persönliches und kammermusikalisch elegantes Programm, das die Musiker und Hörer von traditionellen Melodien einen Liu Rong Fa über alte schottische Klänge in der Bearbeitung von Francesco Barsanti über Klassiker wie De Falla, Fauré, Schumann und eben Villa-Lobos bis hin zu Milongas von Piazzolla und einer Weise aus Andrew Lloyd Webbers Musical “Cats” führt. Und die beiden Koryphäen ihrer Instrumente nützen die Gelegenheit, um sich als famose Spezialisten der Feinheit und der ausdrucksstarken Detailarbeit zu präsentieren, getragen von der Schönheit einer Musik, die keine Grenzen kennt.