Hélène Grimaud macht es sich nicht leicht. Denn die französischen Pianistin will Musik aus dem Innersten heraus verstehen, sowohl im Hinblick auf die eigene Kompetenz der Interpretation als auch in Bezug auf die Musik selbst. Wenn sie sich daher nun zum ersten Mal auf CD eines kleinen Ausschnitts des gigantischen Werkes von Johann Sebastian Bach annimmt, dann kann das nicht nur eine Umsetzung verschiedener Notentexte sein, sondern wird zu einer Expedition ins Innenleben des barocken Klang- und Strukturverständnisses. Grimaud nimmt nicht nur Bach selbst als Vorlage, sondern auch Bearbeitungen kongenialer Erben wie Busoni. Liszt oder Rachmaninoff, die über deren eigene Genialität die Bedeutung der Originale noch deutlicher zum Vorschein kommen lassen.
Es muss etwas hinter der unmittelbaren Erscheinung der Musik geben. Hélène Grimaud ist diesen Geheimnissen auf der Spur, mit ihrem Spiel, ihren philosophischen Studien und den besonderen Konzepten, die die Basis ihrer Konzerte und Aufnahmen bilden. “Die Idee entstand, weil ich mich fragte, warum Bachs Musik alle Menschen berührt und anspricht”, meint die Pianistin in einem Gespräch zu ihrem Album “Bach” und konkretisiert die Arbeit weiter: “Ich wollte dem Geheimnis ihrer universalen Kraft näher kommen. Wir Instrumentalisten messen unsere geistige und technische Entwicklung daran, wie wir seine Musik spielen – das ist unser Prüfstein. Und für Pianisten ist das ‘Wohltemperierte Klavier’ die Bibel in der Bibel. Es geht um Tonarten, jede mit ihrem eigenen Charakter, und um die Grundsätze freier bzw. strenger Komposition. Ich wollte, dass diese CD dieselben Grundsätze widerspiegelt.”
Um das zu erreichen und das Universelle der Bach’schen Klangwelt herauszustellen, entschied Hélène Grimaud sich daher zu einer unkonventionellen Vorgehensweise: “Ich wollte von Anfang an reinen Bach mit Transkriptionen seiner Werke zusammenbringen, um deutlich zu machen, dass das Instrument bei seiner Musik nicht besonders wichtig ist – die Botschaft geht über das Medium hinaus. Ich wollte ein Programm schaffen, das abwechselt zwischen seinen originalen Kompositionen und seiner Musik, wie sie mit den Augen anderer Komponisten zu sehen ist.” Der Blick der anderen, ihr eigenes Verständnis und die Kraft der Originale verbinden sich dabei zu einer besonderen Interpretation, für die die persönliche Spielhaltung wichtiger ist als technische Fragen: “Bach lässt sich auf jedem Instrument wundervoll spielen, wenn die Seele entsprechend eingestimmt ist. Das eigentliche Thema ist, ob die Musik in einer Tradition emotionaler und intellektueller Redlichkeit gespielt wird, mit der richtigen Balance von Überlegung und Intuition, von den Noten auf dem Papier und dem eigenen Herzschlag.”
Reizvoll war dabei insbesondere die Frage nach der Auswahl der einzelnen Stücke, die auf dem Album “Bach” vorkommen sollten. Die Grundlage bilden zunächst die Bearbeitungen einzelner Passagen aus den zwei Büchern des “Wohltemperierten Klaviers”, außerdem das “d-moll-Konzert für Klavier, BWV 1052”. Hinzu kommen außerdem Transkriptionen von Werken für andere Instrumente wie etwa Rachamninoffs Version des “Préludes” aus der dritten “Violin-Partita”, vor allem aber Busonis Fassung der Chaconne aus der zweiten “Violin-Partita”. Denn “die Chaconne war von Anfang an ein zentraler Punkt dieses Programms, sie musste unbedingt dabei sein. Sie ist ein Tanz von Leben und Tod. Bekanntlich komponierte Bach das Stück zu der Zeit, als seine erste Frau starb. Seine Musik spiegelt zwar weniger als bei anderen Komponisten sein Privatleben, trotzdem ist es wichtig zu wissen, was er jeweils persönlich erlebte. Die Chaconne ist der eindrucksvollste Satz, den er je schrieb – sie gleicht der Architektur einer Kathedrale, die einzelnen Variationen sind wie Licht, das durch unterschiedlich getönte Glasfenster fällt. Wenn man sie spielt, hat man das Gefühl, mit seinem eigenen Schatten zu tanzen. Das Ende ist ein weiteres Mysterium: Statt die Dinge zum Abschluss zu bringen, eröffnet es dem Interpreten jede denkbare Möglichkeit.” Und so setzt sich Hélène Grimaud sowohl als Solistin als auch zusammen mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Florian Donderer einen Bach-Kosmos zusammen, der dem Komponisten ebenso gerecht wird wie der Kongenialität der Interpretin.
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An dieser Stelle möchten wir Sie auch auf das Recital von Hélène Grimaud am 10.11.2008 um 20:00 Uhr in der Philharmonie Berlin aufmerksam machen. Bei diesem Konzert wird Hélène Grimaud Werke von Bach spielen die auch auf ihrem neuen Album zu finden sind.
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