Antonio Vivaldi brüstete sich, schneller ein neues Violinkonzert zu komponieren, als es der Kopist abschreiben könnte. Das gehörte natürlich zum Grundtenor der Übertreibung, den die Kunststadt Venedig überhaupt zu dessen Lebzeiten umfing. Nichtsdestotrotz zählt sein Oeuvre für Streichinstrumente zu den umfangreichsten, das die klassische Musikliteratur zu bieten hat. Und es ist noch immer gut für Überraschungen, wie der Geiger Giuliano Carmignola und die Accademia Bizantina unter der Leitung von Ottavio Dantone mit ihrer neuesten Vivaldi-Einspielung eindrucksvoll belegen.
Gewaltiges und herausforderndes Oeuvre
Insgesamt hat Antonio Vivaldi rund 240 Violinkonzerte geschrieben, bekannt ist davon aber noch lange nicht alles. Denn die Konzertpraxis beschränkt sich in der Regel auf einen Ausschnitt dieses gewaltigen Schaffens, etwa 40 Werke sind bis heute nicht aufgenommen worden. Eine sträfliche Vernachlässigung eines imposanten Repertoires, dem der barocke Ruf vorauseilt, sich letztlich zu wiederholen. Das allerdings ist ein Vorurteil, denn wenn man die Konzerte betrachtet, die Giuliano Carmignola für seine aktuelle Stellungnahme zum Thema Vivaldi ausgewählt hat, dann fällt vor allem die Vielfalt auf, mit der Vivaldi in der Lage ist, sich innerhalb der vorgegebenen Formprinzipien seiner Epoche zu bewegen. Seien es Farbspiele und dynamische Kontraste, Echowirkungen und Modulationen im letzten Augenblick, Tempoänderungen und komplexe Orgelpunktvariationen, immer hatte der Komponist etwas Ungewöhnliches und Überraschendes zu bieten, mit dem er sein Publikum bei Laune halten konnte.
Außergewöhnliche Musikalität
Giuliano Carmignola gehört zu den glühenden Verehrern Vivaldis und er ist selbst ein Günstling des Schicksals. Eine außergewöhnliche Musikalität wurde ihm in die Wiege gelegt, die von Kinderjahren an umsichtig und zielstrebig gefördert wurde. Die ersten Geigenstunden erhielt er von seinem Vater. Bald darauf genügte dessen Erfahrung nicht mehr und der Junge verließ seine Heimatstadt Treviso, um bei Kapazitäten wie Nathan Milstein, Franco Gulli und und Henryk Szeryng zu studieren. Es kam, wie erhofft. Carmignola gewann 1973 den Paganini-Wettbewerb in Genua, stieg in die erste Liga der international gefeierten Solisten auf und fundamentierte als Mitglied der Virtuosi di Roma oder an der Seite von Claudio Abbado und Giuseppe Sinopoli seinen Ruf. Und er entdeckte neben der bereits von seinem Vater wach gerufenen Begeisterung für die Musik des Barocks seine spezielle Vorliebe für die historische Aufführungspraxis.