Als kleiner Junge besaß er eine alte LP: Bachs Violinkonzerte in E-Dur und a-Moll, interpretiert von David Oistrach und Isaac Stern. Es war seine Lieblingsplatte. Er hörte sie immer wieder.
Vor allem die langsamen Sätze der Violinkonzerte, diese zart fließenden, ebenso sehnsuchtsvoll wie friedlich anmutenden Klanggebilde, Wunderwerke der harmonischen Ausgewogenheit, berührten den jungen Giuliano Carmignola, und eine solche Prägung vergisst man nicht. Naturgemäß wurde der in Treviso, einer norditalienischen Kleinstadt nahe Venedig, geborene Geiger erst einmal an das italienische Repertoire herangeführt. Sein Vater war Amateurgeiger. Er traf sich oft mit Freunden zum Spielen, und Giuliano wuchs mit der Musik von Corelli, Benedetto Marcello und Vivaldi wie selbstverständlich auf. Sein außerordentliches Talent erlaubte es ihm dann, bei dem angesehenen venezianischen Geiger Luigi Enrico Ferro zu studieren, einem Mann, der die Vivaldi-Renaissance vor rund 50 Jahren in Treviso maßgeblich vorangetrieben hatte.
International Furore machte Carmignola Anfang der 1970er Jahre dann aber erst einmal mit Repertoire aus dem 19. und 20. Jahrhundert, bis hin zu sehr modernen Klängen wie Dutilleux’ Violinkonzert, dessen italienische Uraufführung er spielte. Anfang der 1980er Jahre kam er dann zum ersten Mal mit Musikern in Kontakt, die von der historischen Aufführungspraxis inspiriert waren. Carmignola spürte sofort, dass dies alles andere als ein trockenes, wissenschaftliches Geschäft war, sondern vor allem eine Abenteuerreise ins barocke Zeitalter. Denn dies öffnete ja, wie er es selbst ausdrückte, “ein Fenster zu einer neuen Welt”.
In der Folge drang Giuliano Carmignola immer tiefer in die Welt der barocken Klangfülle ein, und das Publikum folgte ihm, zuletzt bei seinem Album “Vivaldi con moto”, auf Schritt und Tritt. Was sein Spiel der Barockgeige so reizvoll macht, das ist der satte Klang, dem bei aller Fülle doch nichts Schweres anhaftet. Carmignola entfaltet die ganze Pracht der barocken Musik, und dass dies auch Johann Sebastian Bach zu Gute kommt, beweist das soeben erschienene Album, das neben den bekannten drei Violinkonzerten des Altmeisters, dem in a-Moll (BWV 1041), in E-Dur (BWV 1042) und d-Moll (BWV 1043), zusätzlich noch die von Marco Serino rekonstruierten Violinkonzerte in g-Moll (BWV 1056R) und d-Moll (BWV 1052R) enthält.
Sinnliches Vergnügen
Das Doppelkonzert spielt Carmignola mit seiner Schülerin Mayumi Hirasaki, mit der er prächtig harmoniert, und die Abstimmung mit dem renommierten Barockorchester Concerto Köln ist von traumwandlerischer Sicherheit. Was Campignolas Bach-Interpretation von den Einspielungen Milsteins, Oistrachs oder Menuhins unterscheidet, das ist ihr mediterraner Schwung. Man spürt in ihnen die Leichtigkeit des Südens, eine größere Entspanntheit. Das Eindrucksvolle an den formstrengen Interpretationen war die harmonische Transparenz. Carmignolas Spiel besticht durch intensive Farbgebung und rhythmische Direktheit. Das ist ein sinnliches Vergnügen der besonderen Art, und das sollte sich kein Freund der Geigenmusik entgehen lassen.