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Venezianische Phantasien

13.08.2008

Die Oboe ist in vieler Hinsicht etwas Besonderes. Ihr zarter, filigraner Klang gehört fest zum musikalischen Inventar des Barocks, wurde aber von den Klassikern und Romantikers schon deshalb solistisch vernachlässigt, weil er sich dynamisch schwer gegen die immer größer werdenden Orchester durchsetzen konnte. Nicht zuletzt gehört die Oboe auch zu den anspruchsvollsten Instrumenten überhaupt, dessen feiner und sensibler Ton schier unendliches Studium des Ausdrucks, der Differenzierung und auch der Atmung erfordert. Umso faszinierender ist es, einem Meister wie Albrecht Mayer zuzuhören, der mühelos nicht nur alle spieltechnischen Fragen hinter sich lässt, sondern darüber hinaus dem Instrument überhaupt eine neue Rolle in der Musikwelt zuweist – mit seinen herausragenden Transkriptionen oder auch mit dem neuen Album “In Venice”, das überwiegend original für die Oboe geschriebene Meisterwerke des Barocks in atemberaubender Schönheit erstrahlen lässt. 

Tatsächlich ist die Atmung ein Kern von Mayers Kunst: “Philosophen und selbst Religionsführer in Kulturen überall in der Welt sagen seit jeher, dass der Atem ein Aspekt der Seele ist”, meint Albrecht Mayer in einem Interview zu seinen neuen Aufnahmen und fährt fort: “Für mich besteht das höchste Ziel darin, meinen Atem völlig zu beherrschen, damit meine Seele hervortreten und den Zuhörer ansprechen kann. ‘Der Oboe zuzuhören ist mir immer schwer gefallen – aber sie haben das für mich geändert’. Das hört man gerne. Aber es ist ja nicht das Instrument als solches, sondern was man damit zum Ausdruck bringt”. Damit ist es im besonderen eine Frage des Repertoires, mit dem sich ein Künstler abgibt. Während der vergangenen Jahre hat sich Albrecht Mayer ausführlich damit beschäftigt, Werke von großen Komponisten wie Bach oder Mozart für sein Instrument zu bearbeiten und deren Schaffen damit eine neue, ungewohnte Dimension abzugewinnen.
 
Im Fall von “In Venice” jedoch kann er sich auf ein breites Spektrum bereits vorhandener Meisterstücke konzentrieren. Denn für Komponisten der venezianischen Barock-Ära wie Vivaldi, Marcello oder Albinoni war es ganz selbstverständlich, für die Oboe oder die etwas tiefer gestimmt Oboe d’Amore zu komponieren. Und vor allem hatten die Komponisten dieser Ära ein besonderes Verhältnis zu Kantabilität der musikalischen Motive und Linien und treffen damit eine spezielle Vorliebe Albrecht Mayers am vokalen Ton. Von Kindertagen an hat er selbst gesungen, in Chören, dann auch solistisch, sogar noch zu den Zeiten, als er bereits von den Bamberger Symphonikern zu den Berliner Philharmonikern gewechselt war.
 
Mit zunehmendem Arbeitspensum allerdings war diese kreative Doppelbelastung nicht mehr durchzuhalten: “Ich spielte bei den Berliner Philharmonikern und beschäftigte mich mit Gesang. Die Versuchung, Berufssänger zu werden, war stark. Dann wurde mir eines schönen Tages klar, dass ich entscheiden musste, ob ich diesen Weg gehen oder bei meiner Oboe bleiben würde”. Albrecht Mayer zog die Konsequenzen und es erwies sich auf lange Sicht nicht als Widerspruch. Denn “der berühmteste Oboist der Welt” (Rheinische Post) ist in der Lage, mit seinem Instrument in einer Art und Weise zu singen, die Kritik und Publikum fasziniert. In der Verknüpfung mit dem barocken Repertoire ergibt sich da eine ideale Verbindung, die Mayers musikalische Visionen mit Marcellos elegantem “d-Moll-Konzert” (in der Transkription von Johann Sebastian Bach höchstpersönlich), Vivaldis virtuosem “C-Dur-Konzert” oder auch Antonio Lottis "A-Dur-Konzert für “Oboe d’Amore” kombiniert. “In Venice” ist daher zum einen ein herausragendes Barock-Album dieser Saison und darüber hinaus auch die Erfüllung eines persönlichen Traumes. Denn Venedig gehört zu Albrecht Mayers speziellen Leidenschaften. Er liebt die Serenissima, diese Insel der Phantasien von Kindesbeinen an. Da war es an der Zeit, ihr auch eine musikalische Würdigung zu widmen.


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