Große Kunst kann über die irdischen Grenzen hinausweisen und gerade in schwierigen Zeiten war und ist die Musik Ventil und Sehnsuchtsort zugleich. Nach seinem erfolgreichen Barock-Album “Tesori d’Italia” veröffentlicht der Oboist Albrecht Mayer bei Deutsche Grammophon nun das Album “Longing for Paradise”, das diesem Grundgedanken feinsinnig nachspürt. Zusammen mit den Bamberger Symphonikern unter Leitung von Jakub Hrůša gestaltet Mayer darauf ausgewählte Werke für Oboe und Orchester, die alle die Suche nach einer Erfüllung jenseits der irdischen Schwere eint.
“Wie reagiert man als emotionaler, fühlend-romantischer Komponist, wenn man mit der Kriegssituation und einer zerstörten Heimat konfrontiert wird?” Dies sei die Ausgangsfrage für die Entstehung des neuen Albums gewesen, so Albrecht Mayer, und die damit verbundene Sehnsucht nach Schönheit vereine alle Stücke auf “Longing for Paradise”. “Wir erleben Komponisten, die darauf aus waren, sich in eine schönere Welt hineinzudenken. Sie träumten sich ins Paradies”.
Die so entstandenen Sehnsuchts-Werke zeichnen sich durch eine besonders intensive Tonsprache und eine hingebungsvolle Auslotung der klanglichen Möglichkeiten aus. Eines der Hauptwerke des Albums ist das einzige Oboenkonzert von Richard Strauss, das dieser kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs komponierte und das mit behänder Virtuosität und strahlender Klangschönheit besticht, wobei die melodischen Kantilenen mitunter an die Zeit des Belcanto erinnern. Von Strauss selbst einmal als bloße “Handgelenksübung” beschrieben, zählt sein Oboenkonzert bis heute zu den anspruchsvollsten Werken überhaupt, die je für Oboe komponiert wurden.
Dem Strauss-Konzert vorangestellt ist “Soliloquy” von Edward Elgar, ein fragmenthaftes einsätziges Werk für Oboe und Orchester, das melancholisch und mystisch im Ausdruck das Album eröffnet.
Ähnlich wie das Oboenkonzert von Strauss ist auch das Stück “Le Tombeau de Couperin” von Maurice Ravel eine musikalische Reaktion auf die Erfahrungen des Krieges. Kurz nach dem ersten Weltkrieg als Klavierwerk komponiert, erklingt es auf Mayers Album in einer Neubearbeitung von Ravels vierteiliger Orchesterfassung, nun arrangiert für Oboe und Orchester. Ravel widmete jeden einzelnen Satz des spannungsvollen Werks einem seiner gefallenen Kriegskameraden und entsprechend erzählt dieses Stück trotz seiner klanglichen Ästhetik und seiner eingängigen Formen berührend vom tiefen Schmerz des Verlustes.
Mit dem Oboenkonzert von Eugène Goossens gibt es schließlich ein weitgehend unbekanntes Meisterwerk auf Albrecht Mayers neuem Album zu entdecken, das hochvirtuos und mit feinsinnigem Humor in den Bann zieht. Der Komponist Goossens schuf dieses Werk auf Wunsch seines Bruders Léon, der 1927 mit einem neuen Stück auf Amerika-Tournee gehen wollte.
Mit “Longing for Paradise” ist Albrecht Mayer ein eindrucksvolles Konzeptalbum gelungen, das mit einem feinsinnig und klug komponierten Programm aufwartet. Allen Stücken gemein ist dabei die sehnsuchts- und oft auch schmerzvolle Suche der Komponisten nach Erfüllung und innerer Schönheit, um den äußeren Gegebenheiten etwas entgegen zu setzen. Im intensiven Zusammenspiel mit den Bamberger Symphonikern lotet Mayer die ganz unterschiedlichen Schöpfungen farbenreich und mit großer Wärme im Ton aus und überzeugt mit meisterhafter Leichtigkeit in seinem Spiel. Die Musik ist die Brücke zum Paradies, lautet ein bekanntes Sprichwort. Das neue Album von Albrecht Mayer lässt erahnen, was damit gemeint ist.
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