Was Albrecht Mayer mit der Oboe anstellt, hat magische Qualitäten. Er haucht dem Instrument Leben ein. Wenn er spielt, dann spürt man bei jedem Ton die Inbrunst, die Echtheit des Ausdrucks.
Ein Mann, der mit seinem Instrument so geschickt umgeht, der muss es kennen wie seinen eigenen Körper, der muss wissen, was es braucht, wie es behandelt werden möchte. Und das weiß Albrecht Mayer. Er zwingt der Oboe nicht seinen Willen auf. Er spielt nicht mit Gewalt. Seine Kunst ist frei von jeder Herrschsucht. Eher gleicht sie einem Gesellschaftstanz, der bei aller Strenge doch eine schwebende Leichtigkeit, eine Ungezwungenheit des Ausdrucks behält.
Darin ist Albrecht Mayer spitze, und das prädestiniert den großen Oboisten, der bereits dreimal den ECHO Klassik gewann, für eine Musik, die von klarer Linienführung ebenso abhängt wie von tänzerischer Sicherheit. Wie sehr gerade Bachs Kunst von Mayers außerordentlichen Gaben profitiert, das demonstriert der Oboist jetzt auf seinem neuen Album “Bach – Konzerte und Transkriptionen”. Man hört Bach mit anderen Ohren, wenn Mayer ihn spielt.
Bei Mayer fällt die respektheischende Strenge von Bach ab. Das Eisenacher Genie ist hier nicht mehr allein der Gebieter über ein ganzes Universum schöner Harmonien, die er tausendfach variiert und kontrapunktisch durcharbeitet. Sondern er klingt plötzlich verspielt, witzig und sinnlich. Im Inneren des Komponisten muss eine überquellende Freude gewesen sein, als er die Werke schuf, die Albrecht Mayer auf seinem neuen Album spielt, und dieser Euphorie spürt der leidenschaftliche Oboist nach.
Er lotet sie in allen Richtungen aus und präsentiert uns ein Klanguniversum, das in seiner Beweglichkeit, seiner unbedingten Tanzbereitschaft und vorwärtsdrängenden Kühnheit keinen Augenblick nachlässt. Selbst wenn er intimere, stillere Arbeiten Bachs interpretiert, spürt man diesen Puls, diesen Drang in seinem mitreißenden Oboenspiel. Poetische Tiefe erzielt Albrecht Mayer durch den gesanglichen, melodischen Charakter seines Instruments, den er voll ausschöpft.
Am eindringlichsten vielleicht in “Ich ruf’ zu dir, Herr Jesu Christ” (BWV 639) aus Bachs Orgelbüchlein. Andreas N. Tarkmann hat dieses berühmte Werk, wie viele andere Kompositionen auf dem Album, für Oboe und Orchester arrangiert, und das ist meisterhaft gelungen. Die elegische Melodie kommt in Mayers Oboenspiel glasklar zur Geltung, und der diskrete Orchesterklang der Sinfonia Varsovia schmiegt sich sanft den langen Klanglinien an.
Das “Konzert für Cembalo und Orchester A-Dur” (BWV 1055) lässt hingegen den sinnenfrohen Bach erklingen, der unbekümmert glänzt. So freut man sich das ganze Album über, Bach in unterschiedlichen Facetten auf der Oboe vorgeführt zu bekommen. “Bach hat die Oboe offenkundig über alle Maßen geliebt”, so Albrecht Mayer im klug edierten Booklet zum Album, das neben einem Interview mit dem Künstler auch anspruchsvolle Fotos seiner Person enthält.
Eine prominente Rolle spielt die Oboe auch in Bachs geistlichen Werken. Auch solche bekommt man, neben den Transkriptionen, auf dem Album zu hören, und man achtet jetzt aufmerksamer auf die besondere Stimmung, die das Instrument erzeugt, zum Beispiel in der Sinfonia aus “Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen” (BWV 12), wo die Oboe maßgeblich zur andächtigen Atmosphäre beiträgt. Die Oboe ist zentral für Bach, und Albrecht Mayer stellt dies eindrucksvoll heraus.