Als Beethoven seine ersten Violinsonaten veröffentlichte, da hagelte es Kritik. Sie seien unspielbar, voller technischer Hürden und von Amateurmusikern, die im 19. Jahrhundert noch ganz selbstverständlich Noten neu komponierter Musik kauften, gar nicht zu bewältigen. Robert Schumann gab Jahrzehnte später augenzwinkernd zu Protokoll: “Wie eine Himmelssonne hat sich der Name Beethoven entfaltet, während der Rezensent in einem Dachstübchen zur stumpfen Nessel zusammenschrumpft.” Heute, im Jahre 2020, dem 250. Geburtstag des Wiener Klassikers, herrscht über den außerordentlichen Rang der Violinsonaten kein Zweifel mehr. Sie gelten als Leuchttürme herausragender Kammermusik. Geschult an Mozarts Vorbild, unterhaltsam, von lyrischer Sensibilität und mit vielen tänzerischen Einlagen, modernisierte Beethoven das Genre der Violinsonate, indem er seine persönlichen Empfindungen, seine inneren Kämpfe und Temperamentsausbrüche in die Musik mit einfließen ließ.
Den Solisten verlangen die zehn Violinsonaten alles ab. Das Klavier rangiert auf derselben Stufe wie die Geige. Nicht selten befinden sich die beiden Instrumente in einer Art Kampf und bilden die erschütternde Dramatik in Beethovens Seelenleben musikalisch ab. Aber auch Beethovens Witz, sein sprühender Humor und seine ironischen Neigungen spiegeln sich in den lebhaften Dialogen der Instrumente wider.
Nur wenige Solisten zeigten sich den virtuosen, poetischen und emotionalen Anforderungen von Beethovens Violinsonaten gewachsen. Selbst in etlichen der einschlägigen Aufnahmen fehlt etwas. Wo virtuose Klasse und Spielwitz vorherrschen, vermisst man oft Emotion, und wo Gefühl und Poesie ins Zentrum rücken, geht nicht selten die präzise Wiedergabe von Beethovens raffinierten Harmonien verloren. Das ist der feine Unterschied, den die bahnbrechende Interpretation des österreichischen Stargeigers Wolfgang Schneiderhan mit dem deutschen Klaviervirtuosen Carl Seemann macht: Dem Duo gelang eine Gesamtaufnahme des Zyklus, die den Violinsonaten in all ihren Facetten gerecht wird. Die Einspielung besitzt virtuose Klasse, sie ist farbenreich, gefühlvoll und sprüht vor Energie und Spielfreude. Der musikalische Genuss ist den beiden Solisten jederzeit anzumerken, ob sie nun Werke wie die erheiternde “Frühlingssonate” (op. 24) oder furiose Arbeiten wie die elektrisierende “Kreutzersonate” (op. 47) interpretieren.
Schneiderhan, Jahrgang 1915, ein wahres Wunderkind, das bereits im Alter von drei Jahren mit dem Geigenspiel begann und mit fünf Jahren seinen ersten öffentlichen Auftritt hinlegte, sorgt mit seinem warmen, natürlich fließenden Ton für eine einnehmende Atmosphäre wienerischer Noblesse. Seemann, knapp fünf Jahre älter als Schneiderhan, aus Bremen stammend, verleiht dem Zyklus mit seiner unnachgiebigen Genauigkeit und betont nüchternen Spielweise eine eigentümlich moderne Note. Der diskrete Unterschied der beiden musikalischen Temperamente erzeugt eine nie nachlassende Spannung, die diese Referenzaufnahme zu einem Hör-Erlebnis sondergleichen macht.
Jetzt erfährt der begehrte Zyklus eine audiophile Neuauflage. Dadurch treten die subtilen Akzente, die Schneiderhan und Seemann setzten, in noch deutlicherer Gestalt hervor. Das Remastering der schillernden Aufnahme, die im Jahre 1959 unter der Leitung der legendären Pianistin und Schallplattenproduzentin Elsa Schiller im Brahms-Saal des Wiener Musikvereins verwirklicht wurde, fand in den Emil Berliner Studios statt und zeitigte glänzende Resultate. Schneiderhans “silbrig schimmernder Ton” (Der Spiegel) und Seemanns glasklarer Stil sind in äußerst feingliedriger Form vernehmbar. Das gilt in besonderer Weise für die hochauflösende Blu-ray Audio Disc, die der am 8. Mai 2020 in den Handel kommenden physischen Edition beiliegen wird. Aber auch die bereits jetzt verfügbare digitale Ausgabe profitiert maßgeblich von dem audiophilen Remastering.
Vielfältige Informationen und einen hohen Unterhaltungswert bietet schließlich das digital wie physisch erhältliche Booklet der Ausgabe. Der brillante Essay des großen Musikkritikers Tully Potter gewährt tiefe Einblicke in die Entstehung und den poetischen Charakter von Beethovens Violinsonaten. Die Künstlerfotos, darunter erstmals veröffentlichte Archivalien, vermitteln einen starken Eindruck von dem verantwortungsbewussten Ernst, dem persönlichen Stil und Auftritt der zwei Solisten, die sich um Beethovens Erbe so unschätzbare Verdienste erworben haben.