Robert Schumann kennt man als genialischen Komponisten von Klaviermusik und Liederprogrammen, weniger jedoch als Sinfoniker. Das mag daran liegen, dass er selbst an sich zweifelte und sich trotz des Erfolges etwa der “Frühlingssinfonie Nr.1” von weniger euphorischen Würdigungen wie bei der Premiere seiner “d-moll Sinfonie” im Dezember 1841 aus dem Konzept bringen ließ. Vielleicht hängt es auch mit dem Schatten Beethovens zusammen, in dem sich Schumann zeit seines Lebens sah. Bereits Gustav Mahler aber erkannte die ungeheure Faszination der Orchestersprache seines romantischen Kollegen und bearbeitete daher dessen Sinfonien für die Aufführung. Und Riccardo Chailly hat es sich als Leiter des Gewandhausorchesters zum Ziel gesetzt, diese fruchtbare posthume Partnerschaft mit seinem Spitzenensemble zu dokumentieren. Im vergangenen Frühjahr erschienen zunächst seine Interpretationen der Sinfonien zwei und vier, nun komplettiert er den Zyklus um die anderen beiden Werke eins und drei zu einer fulminanten Gesamtaufnahme.
Gustav Mahler ging behutsam vor. Schließlich wollte er niemanden korrigieren oder gar kompromittieren, sondern schlicht eine großartige Musik in ihrer Ausdruckspalette optimieren. Als er 1898 zum Leiter der Philharmonischen Konzerte der Wiener Philharmoniker ernannt wurde, machte er sich daher zunächst an die Bearbeitung von Robert Schumanns erster Sinfonie, die er zusammen mit einem redigierten Beethoven-Streichquartett und der “1812-Ouvertüre” von Tschaikowsky im Januar 1899 aufführte. Um die übrigen sinfonischen Werke kümmerte er sich rund ein Jahrzehnt später, als er schließlich in New York angekommen war. Wichtig war ihm, dem Original soweit als möglich zu folgen, es allerdings in Fragen der Dynamikgliederung, des Tempos und der Klangtransparenz zu verbessern.
Da Schumann kein besonders begabter Orchestrator gewesen war, war dieses Unterfangen trotz großartiger Vorlagen ein gutes Stück Arbeit. Im Falle der 2. Sinfonie nahm Mahler immerhin 355 Revisionen vor, in der 4. Sinfonie sogar 466. Dabei handelte es sich in der Regel um Veränderungen der Instrumentierung, um Neudeutungen der Lautstärke-Kontraste, manchmal auch um Farbänderungen, indem er etwa die Streicher eine Passage pizzicato anstatt arco anstimmen ließ. Alle Retuschen sind daran orientiert, einzelne Sachverhalte klarer hervor zu heben und so stellen die Bearbeitungen eine deutliche Verbesserung der Orchesterklangs dar, auch wenn sie nicht allzu oft als solche von den Dirigenten angenommen werden. Jedenfalls widerstand Mahler zumeist dem Drang nach Modernisierung, korrigierte nur selten Formales und auch dann vor allem, um die Durchhörbarkeit der Werke zu steigern.
Im Fall der ersten Sinfonie waren es aber trotzdem 830 Revisionen kleiner Passagen und Akzente, im Speziellen der Bläser, bei der “Rheinischen” noch 465, wobei sich Schumann in diesem Fall durch den Einsatz der damals neuen Ventilhörner als im Vergleich zu den anderen Werken in der Gesamtklanggestaltung versierter heraus stellte. Änderungen gab es daher im Fall der Trompetenstimmen und bei der Gliederung der Lautstärke, die Mahler dramatischer als zuvor anlegte. Aus heutiger Perspektive sind solche Eingriffe allerdings schwerwiegende Änderungen. Ideen von Authentizität und Originalität stehen da in der Regel einem Verständnis der Sinfonien im Mahlerschen Sinne entgegen, und so gehört es zu den wichtigen Aufgaben Riccardo Chaillys, mit diesen Orchesterfassungen ein historisch ungenügendes Bild zu revidieren.
Denn seiner Meinung nach existieren die revidierten Versionen durchaus als eigenständige Klangkunstwerke im Raum, die es Wert sind, mit dem Ernst des zeitgenössischen Spezialisten erarbeitet zu werden. Auf diese Weise treffen aus der Doppel-CD der Schumann-Sinfonien drei starke Charaktere aufeinander: Der Komponist als Urheber, der Bearbeiter als Verfeinerer und der Interpret als Moderator. Alles zusammen ergibt mit einem hervorragend harmonierenden Gewandhausorchester eine Einspielung, die die Beschäftigung lohnt.