Lange Zeit sprachen nur Fachleute über ihn. Die Liebhaber der klassischen Musik hingegen waren kaum mit ihm vertraut. Zwar hatte man seinen Namen irgendwo schon einmal gehört. Aber was genau er geleistet hatte, wie seine Musik klang und wer er war, darüber erfuhr die breite Öffentlichkeit nur wenig. Christoph Willibald Gluck, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 300. Mal jährt, kann als der große Vergessene der europäischen Operntradition gelten. Und wenn man an den hohen Rang denkt, den er in der Geschichte der Oper gleichwohl einnimmt, dann kann man über die vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit nur staunen.
Aber erging es anderen Meistern besser? Der Schriftsteller Albrecht Goes berichtet in seinem Buch “Stunden mit Bach”, dass es Zeiten gab, in denen selbst Bach der Vergessenheit anheim fiel. Und es ist stets das Verdienst von Schatzsuchern, dass große, aus irgendwelchen Zufällen ins Hintertreffen geratene Musik nicht verloren geht. In aller erster Linie ist hier natürlich der musizierende Interpret gefragt, der mit seinem Instrument oder seiner Stimme die Schönheit einer bestimmten Musik am Leben erhält. Bei Daniel Behle ist es die unverwechselbare Stimme, ein ausdrucksstarker, dem romantischen Kunstlied, der Opernbühne und eigenwilligen Arien-Interpretationen gleichermaßen verpflichteter Tenor, der in freudige, aber auch in melancholische Stimmungen tief einzudringen vermag.
Hinzu kommt der erlesene Geschmack, durch den sich Behle auszeichnet. Dadurch wird sein gerade erschienenes Decca-Album “Gluck: Opernarien”, das eindrucksvoll in sich ruht und trotz lebendig sprühender Arien größtenteils doch leise fließt, zu einem Fundus der exklusiven Art. Viele kleine glitzernde Perlen hat der umsichtige Sänger zu Tage gefördert. Das Album bietet einen Querschnitt aus sämtlichen Arien-Kompositionen Glucks, von frühen Arbeiten im italienischen Stil bis hin zu späten, französischen Werken. So bekommt man als Hörer einen guten Überblick über das Schaffen des deutschen Komponisten, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine ähnlich große Bedeutung besaß wie Richard Wagner im 19. Jahrhundert.
Gluck betrachtete das um sich greifende Virtuosentum an den Opernbühnen mit Skepsis und richtete den Fokus wieder auf anspruchsvolle dramatische Texte. Seine Parole lautete: „Erst die Worte, dann die Musik“ („Prima le parole, poi la musica“). Man könnte nun meinen, es sei für die Liedkunst eher von Nachteil, wenn der Text Vorrang vor der Musik genießt. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall. Bei Gluck durchdringen sich Text und Musik. Seine aufnahmefreudige Musik durchleuchtet die hohe Poesie, und Behle führt eindrucksvoll vor, was das bedeutet.
Wenn er zum Beispiel als Orpheus in der Arie “J’ai perdu mon Eurydice” den Verlust der Geliebten beklagt, dann verschmelzen die schlichte Eleganz von Glucks Musik, der unverschnörkelte Text Calzabigis und Behles schmiegsame Stimme zu einem Tongemälde, das einem schier den Atem verschlägt. Das renommierte Barockorchester Armonia Atenea unter der Leitung von George Petrou trägt mit seiner perfekten Abstimmung das Seinige dazu bei, dass Behles neues Album durchweg zu einem ästhetischen Hochgenuss und einer faszinierenden Entdeckungsreise wird.