Am Anfang wurde Arvo Pärt belächelt. Denn als sich der estnische Komponist nach seiner Schaffenspause zu Beginn der Siebziger mit reduziert minimalistischen Werken zurückmeldete, war die Zeit für seine Spiritualität noch nicht reif. Inzwischen gehört er zu den prägenden Gestalten der musikalischen Gegenwart, in dessen Klangformeln sich weltweit die Menschen wiederfinden.
“Ich habe das Bedürfnis, mich zurückzuziehen und etwas Objektives darzustellen. Je mehr wir ins Chaos geworfen werden, desto mehr müssen wir an der Ordnung festhalten. Das ist das einzige, das uns ein wenig Gleichgewicht bringt und Überblick, Distanz und ein Bewusstsein vom Wert der Dinge verschafft. Je größer dieser Teil von Ordnung und je weiter dieser Flügelschlag, desto mächtiger ist auch die Wirkung eines Kunstwerks. Aber dieser Flügelschlag reicht nach beiden Seiten: auf der einen Seite Ungewissheit, unendliche Kompliziertheit und Chaos, auf der anderen Seite Ordnung. Das ist die Gleichzeitigkeit von Leben und Tod”. Arvo Pärts künstlerische Philosophie kreist um Fragen der letzten Dinge. Schon sein erstes Orchesterwerk “Necrolog” (1960) beschäftigte sich mit dem Verhältnis zwischen Dies- und Jenseits, damals noch auf der Grundlage von Schönbergs Theorie der Zwölftonmusik. Im Laufe des folgenden Jahrzehnts revidierte er die Komplexität der Kompositionen zugunsten einer neuen Verständlichkeit und zog sich zugleich in die künstlerische Intimität zurück.
“Ich erkannte, dass es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt wird. Dieser eine Ton, die Stille oder das Schweigen beruhigen mich”. Pärts Verständnis von Musik fußt in der Archaik der Einfachheit, der Mystik des Religiösen. Seine drei auf “Orient Occident” mit dem Swedish Radio Symphony Orchestra und dem Swedish Radio Choir unter der Leitung von Tonu Kaljuste eingespielten Kompositionen haben christliche Texte zur Grundlage. “Wallfahrtslied” etwa enthält den Psalm 121 in deutscher Sprache. Das für das Festival de Musica des Cararias 1999 entstandene “Como cierva sedienta” hat die spanischen Psalmen 42 und 43 zur Grundlage.
Das 2000 bei den Berliner Festspielen uraufgeführte “Orient & Occident” wiederum arbeitet mit linearen, oft einstimmigen Streicherbewegungen. Es stellt Schichtungen, Verknüpfungen verschiedener klanglicher Hemisphären her, konstruiert Kontraste, Widersprüche, um zum Schluss in verhaltenen Unisono-Momenten die Erfüllung zu finden. Wieder gelingt es Pärt mit der ersten Orchesteraufnahme seit sieben Jahren seine Sprache zu verfeinern, in neuer Richtung bislang ungehörter Klangfarben zu verändern. Denn trotz aller Verständlichkeit an der Oberfläche bleibt er einer der auratischen Komponisten der Gegenwart, der es schafft, mit den tiefen Ebenen seiner Musik die Menschen bei der Seele zu packen.