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Arvo Pärt
Arvo Pärt

Eine Symphonie für das 21. Jahrhundert

Arvo Pärt © ECM
27.08.2010

Musik, die auch politische Aussage ist, stellt für Arvo Pärt auf ECM ein absolutes Novum dar. Seine 2008 entstandene Symphonie Nr. 4, komponiert im Auftrag des Los Angeles Philharmonic, ist Michail Chodorkowski gewidmet, jenem russischen Öl-Magnaten und Ex-Milliardär, den der russische Präsident Putin 2003, mutmaßlich aufgrund seiner Einmischung in die russische Politik, inhaftieren ließ.

Trotzdem betont Pärt, dass seine Widmung an Chodorkowski zumindest nicht unmittelbar politisch gemeint sei, sondern eher als „Ausdruck des großen Respekts vor einem Menschen, der inmitten seiner persönlichen Tragödie moralisch triumphiert. Der tragische Ton der Symphonie ist kein Klagegesang für Chodorkowski, sondern eine Verbeugung vor der starken Kraft des Geistes und der Würde des Menschen“ so der Komponist in seinen Linernotes. Ein musikalischer Schlag ins Gesicht des russischen Polit-Establishments ist diese Widmung dennoch, zumal da Texte des russisch-orthodoxen Kirchenkanons, welche um das Motiv des Schutzengels kreisen, den Ausgangspunkt für die Komposition bildeten. Ist das nicht Kunst, die sich schützend vor den politisch Unterdrückten stellen will?

Die mit Spannung erwartete Ersteinspielung des 35-minütigen Orchesterwerkes, Arvo Pärts erster Symphonie seit fast 40 Jahren, entstand im Rahmen der Uraufführung im Januar 2009 in Los Angeles. Der Konzertmitschnitt unter Esa-Pekka Salonen am Pult des Los Angeles Philharmonic erscheint rechtzeitig zum 75. Geburtstag des großen estnischen Komponisten am 11. September 2010.

Dem Hörer eröffnet Arvo Pärts neues Werk durchaus überraschende Perspektiven. Wieder, wie schon im Kanon Pokajanen (ECM 457 8342), war es Pärts künstlerisches Ziel, den Klang, den ganz eigenen Charakter der kirchenslawischen Sprachpoesie, die das Werk inspiriert hat, in Musik zu übersetzen. Dennoch fällt die Klangwelt seiner Symphony No. 4 viel „klassischer“ aus, als man es zunächst von Pärt erwarten würde. Anklänge an Tschaikowsky oder Mussorgsky haben Eingang in dieses Werk gefunden und verbinden sich mit seinem unverwechselbaren Stil der beseelten Kargheit, der Reduktion auf das Wesentliche, zu einer aufregenden Synthese. Pärt demonstriert im Jahr 2010, wie es, statt des weitgehenden Bruches der symphonischen Tradition zum dem Ende der Spätromantik, mit der Gattung auch hätte weitergehen können. Sein herber und asketischer, von Gregorianik und Renaissance-Kirchenmusik inspirierter Duktus, sein Sinn für strenge Schönheit, schließlich seine Kunst des weit geschwungenen, präzise gesteigerten musikalischen Spannungsbogens bilden gemeinsam einen Quellgrund aus, wie eine Symphonie, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts relevant sein will, ihn braucht.

Gegen den lange vorherrschenden Zeitgeist ist Arvo Pärts Musik der letzten vierzig Jahre niemals Chaos, sondern stets Kathedrale gewesen. Nun er hat mit seiner Symphonie No. 4 ein aufregendes, tief substanzielles und enorm klangschönes symphonisches Werk geschaffen. Seit Ewigkeiten hat es in der modernen Musik nichts Vergleichbares gegeben.

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