An Vladimir Ashkenazy kommt keiner vorbei, der die tiefe Emotionalität der russischen Klaviermusik zu schätzen weiß. Ob Skrjabin, ob Rachmaninoff oder Prokofjew, es gibt kaum einen russischen Klavierkomponisten, dem er nicht seinen interpretatorischen Stempel aufgedrückt hat. Dabei kommt ihm zu Gute, dass er Distanz zur Musik seiner russischen Herkunft hat und ihr gleichermaßen nah wie kritisch begegnen kann. Er liebt diese Musik inniglich. Er hat sie von früh auf in sich aufgesogen. Aber er versinkt nicht in ihrem Pathos.
Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass er durch die westliche Musik auch zurückgenommenere Formen des Gefühlsausdrucks kennen lernte. Dabei war die Begegnung mit westlicher Musik zu sowjetischen Zeiten gar nicht einfach für ihn. „Es gab“, so beklagte der Ausnahmepianist bereits in einem frühen Fernsehinterview, „in Russland zum Beispiel keine Bach-Tradition. Das galt dort als Mathematik, nicht als Musik.“ Aber sein Interesse war unnachgiebig. Es zog ihn gen Westen, und so lernte er, von der tiefen Emotionalität der russischen Musik ausgehend, die westliche Musik zu durchdringen. Der russischen Musik hingegen hielt Ashkenazy aus der Ferne die Treue, und der Vorzug einer solchen Fernbeziehung ist bekanntermaßen, dass die Spannung erhalten bleibt und das Objekt der Begierde nicht verblasst.
Wie wichtig dies für seine unübertroffenen Rachmaninoff-Einspielungen ist, zeigen seine jetzt neu aufgelegten, im Laufe der letzten vier Jahrzehnte zum Klassiker avancierten Aufnahmen der brillanten Klavierkonzerte Rachmaninoffs. In bewährtem Zusammenspiel mit dem London Symphony Orchestra unter der Leitung André Previns entfaltet Ashkenazy mit einfühlsamer Genauigkeit die harmonische Pracht von Rachmaninoffs Kunst, und obwohl die Klavierkonzerte des russischen Komponisten geprägt sind von einem melancholischen Grundton, führt Ashkenazy mit seinem funkelnden Klavierspiel doch eindringlich vor, dass diese Musik zugleich auch eine Feier des Lebens sind. Sie bestechen durch ihre Großzügigkeit, ihren Melodienreichtum und die leicht fließenden Bewegungen ihrer Übergänge. Sie sind verträumt und voller romantischer Sehnsucht.
Ashkenazy weiß dem ohne jede übertriebene Geste Ausdruck zu verleihen. Er spielt selbst die virtuosen Stellen mit erstaunlicher Leichtigkeit und achtet doch bei aller Flüssigkeit seines Spiels darauf, dass die Schönheit der harmonischen Details klar zur Geltung kommt. Den Klavierkonzerten Rachmaninoffs, die es durch Filme wie “Das verflixte 7. Jahr” (mit Marilyn Monroe) oder “Shine – Der Weg ins Licht” zu enormer Popularität brachten, ist bei aller melodischen Einfachheit eine charakteristische Detailfreude eigen. Rachmaninoff geht mit diskretem Charme ins Detail, und Ashkenazy folgt ihm dabei mit der gleichen Akkuratesse, mit der er einst Bach spielte: weich, zart, flüssig, aber sehr genau.
Solche Feinheiten bekommt man natürlich nur dann zu hören, wenn die Aufnahmequalität stimmt. So ist es ein Segen, dass Decca diese klassischen LPs jetzt in einer Sonderediton mit höchster Tonqualität wiederveröffentlicht. Dafür wurden die Masterbänder in den berühmten Abbey Road Studios erstmals mit einer Auflösung von 96kHz / 24-bit transferiert. Die Edition ist in zwei Versionen erhältlich: Als limitierte Deluxe-Edition im Hardcover mit den vier Klavierkonzerten und der Rhapsodie über ein Thema von Paganini (2CDs + 1 Blu-ray Audio) und als digitale Veröffentlichung mit gleichem Inhalt, wahlweise in den Formaten Mastered for iTunes und Dolby TrueHD (Studio Master-Qualität). Das Begleitbuch der physischen Edition beinhaltet eine ausführliche Schilderung des Remastering-Prozesses, zahlreiche Bilder, die gesamte Decca-Diskografie der Rachmaninoff-Aufnahmen Ashkenazys und einen neuen Essay vom Rachmaninoff-Experten Scott Davie.