Er ist gerade einmal 24 Jahre alt. Doch wenn er zu spielen beginnt, dann scheint es, als sitze er bereits Jahrzehnte am Klavier und habe nie etwas anderes getan.
Es gibt viele junge Pianisten, die über außerordentliche Gaben verfügen. Man kann immer wieder nur staunen, mit welcher Begeisterung und Innovationskraft Trifonovs Generation das Klavier in Besitz nimmt. Die in den 1980er und 90er Jahren geborenen Nachwuchskünstler machen ihr eigenes Ding. Sie probieren sich aus und suchen nach einem eigenen Ton. Der eine braucht länger. Er testet viele Formen des Klavierspiels, bevor er zu seinem eigenen Stil findet.
Andere hingegen setzen sich ans Klavier und wissen sofort, was sie wollen. Ihre Mission ist klar. Sie brauchen nicht mehr zu suchen. Zu diesen absoluten Ausnahmebegabungen zählt Daniil Trifonov, und es ist nicht übertrieben, den 1991 in Nischni Nowgorod geborenen Shootingstar der Klavierszene als Leitstern aller hochstrebenden Jungpianisten zu charakterisieren. Trifonov besitzt in jungen Jahren schon das, was man einen persönlichen Stil nennt.
Sein Markenzeichen ist der gewaltige pianistische Furor, mit dem er Meisterwerke der spätromantischen Literatur interpretiert. Trifonov hat keine Angst vor Pathos. Er greift mit voller Wucht in die Tasten. Dabei wirkt er keinesfalls überspreizt, sondern überaus formbewusst. Trotzdem ist er ein Grenzsprenger. Konventionen kümmern ihn wenig. Er folgt seinem Gefühl, und das ist voll von romantischer Sehnsucht und träumerischen Schwelgereien. Seine Musik bricht unmittelbar daraus hervor.
Sie gleicht einer Gefühlsexplosion, und wie überwältigend das ist, davon zeugten bereits seine beiden Live-Alben “The Carnegie Recital” (2013) und “Trifonov Live” (2014). Mit “Rachmaninov Variations” erscheint jetzt eine Studioaufnahme des russischen Pianisten. Das Album wird schon seit Monaten mit großer Spannung erwartet. In Foren und Gesprächen diskutiert das Publikum leidenschaftlich die Fragen: Wie klingt der begnadete Live-Performer heute im Studio? Kann er dieselbe Spannung aufbauen wie zuletzt auf der Bühne?
Das Warten hat ein Ende, und alle Befürchtungen, dass Trifonov im Studio wahrscheinlich nicht so lebhaft klingt wie bei seinen legendären Live-Auftritten, können ad acta gelegt werden. Der romantische Drang seiner Interpretationskunst wird im Studio keinesfalls gebremst. Im Gegenteil: Die Heftigkeit Trifonovs erfährt hier einen klanglichen Schliff, der sie stellenweise noch entschiedener, noch zwingender erscheinen lässt. Das gilt insbesondere für seine Interpretation von Rachmaninovs “Rhapsodie über ein Thema von Paganini” (op. 43).
Trifonov hat das Werk in einer kongenialen Zusammenarbeit mit dem Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin aufgenommen. Die Atmosphäre ist urban, hochgespannt und pulsierend. Dagegen zeigen die “Variationen über ein Thema von Chopin” (op. 22) und die berühmten “Corelli-Variationen” (op. 42) Trifonov eher von seiner frühreifen, poetischen Seite. Hier kann er abschweifen, träumen und nostalgisch schwelgen, und das macht er liebend gern.
Trifonovs eigene Komposition ist eine Suite für Klavier solo, die sich diskret an Rachmaninovs Vorbild anlehnt. “Rachmaniana”, so der Titel des Werkes, ist eine wahre und überaus originelle Hommage an sein Idol. Der junge Pianist lässt blicken, was er an Rachmaninov besonders schätzt: das melancholische Träumen und die Steigerung schwelgerischer Trance bis hinein ins Ekstatische. Im “Andante improvizato” kommt dies genial zur Geltung. Es beginnt träumerisch und wird wie ein Wirbelwind immer heftiger. Trifonov reißt den Hörer regelrecht mit!