Er hatte es sich selbst vorgenommen. Er wollte der „der größte deutsche Opernkomponist nach Wagner“ werden. Und so sehr Richard Strauss in seinen ersten Opernwerken noch im Bannkreis Wagners stand, so bald gehörte er doch unter den schöpferischen Bewunderern des romantischen Großmeisters aus Leipzig zu den wenigen Komponisten, die sich emanzipieren konnten.
Dabei riss er sich nicht mutwillig los. Noch als er mit dem legendären “Rosenkavalier” (1911) ein Werk schuf, das so „etwas wie eine Mozart-Oper“ werden sollte, brachte er eine Orchestrierung Wagnerschen Ausmaßes zum Einsatz. Das neue Erreichte des Musikdramas wollte er nicht unbedingt rückgängig machen. Die spezielle Atmosphäre des “Rosenkavalier” stiftete er aber mit den konventionellen Mitteln der Melodie und des Parlando.
Gustav Mahler hat Richard Strauss einen „Vulkan“ genannt, ein „unterirdisches Feuer – nicht ein bloßes Feuerwerk“. Er meinte damit, dass man die musikalische Tiefe von Strauss nicht ermisst, wenn man sich bloß oberflächlich an dem Pathos, der Exzentrizität und dionysischen Wildheit des Komponisten berauscht. Mahler stand unmittelbar unter dem Eindruck der erotisch geladenen Oper “Salome” (1905), die er für „eines der größten Meisterwerke“ seiner Zeit hielt.
Denkt man an “Guntram” (1894), den noch stark von Wagner geprägten Opernerstling des Komponisten, an “Feuersnot” (1901), an “Elektra” (1909) oder an “Die Frau ohne Schatten” (1919), dann trifft die Charakterisierung Mahlers den Nagel auf den Kopf. Diese Opern sind gewaltig, von explosiver Macht. Zugleich glühen sie innerlich, sind ruhig, gleichmäßig und frei von leeren Pathosformeln. Vielleicht weil sie in echten menschlichen Gefühlen fundiert sind, weil sie mit unbedingtem Ernst von Liebe, Schmerz und dem ewigen erotischen Verlangen handeln, nimmt man Strauss sein Pathos ab.
Die tiefsinnige Seite des Komponisten erfasst aber beileibe nicht die ganze Fülle seines Opernschaffens. Er hatte noch ein andere Seite, ein witziges und charmantes Talent, das sich in seinen komödiantischen Werken, vor allem im “Rosenkavalier”, Ausdruck verschaffte. In der “Ägyptischen Helena” (1928) wiederum spielt er mit bizarren Elementen: Eine singende Muschel, magischer Lotussaft und Elfen kommen hier zum Einsatz. Aber auch aus der Komik führt der Weg zurück in die Tiefe, und so endet diese surreale Oper ganz im Sinne romantischer Ideale in einer berührenden Bekräftigung des hohen Werts der menschlichen Ehe.
Eine solch glühende Musik erfordert exponierte Persönlichkeiten, die ihr gewachsen sind. Nicht allein künstlerisch, sondern auch innerlich stellt Strauss höchste Anforderungen an die Ausführenden. Bei diesen Voraussetzungen staunt man nicht schlecht, wenn man auf die Riege der Sängerinnen, Sänger und Dirigenten schaut, die Strauss interpretiert haben. Bei all diesen wunderbaren Dirigenten und Musikern hat man das Gefühl, dass sie wie für Strauss geschaffen waren. Sir Georg Solti, Karl Böhm, Clemens Krauss oder der modernere Giuseppe Sinopoli: Ließen sich bessere Dirigenten denken, die genauso stark mit der ebenso romantischen wie tief in unsere Zeit hineinreichenden Klangwelt von Strauss verbunden gewesen wären?
Und bei den Sängerinnen und Sängern der hochdramatische Sopran einer Birgit Nilsson etwa: Kann man sich eine bessere Besetzung für die Rolle der Elektra vorstellen? Oder der empfindsame Dietrich Fischer-Dieskau, der bereits in “Arabella” und später dann in “Intermezzo” Richard Strauss sang. Oder der lyrische Sopran einer Anneliese Rothenberger, die bei der Richard Strauss-Sängerin Erika Müller ihr Gesangsstudium absolvierte und schon allein dadurch eine besondere Nähe zu Strauss bezeugt.
Sie alle kann man auf dem jetzt veröffentlichten CD-Paket wieder hören. In der limitierten Edition “Richard Strauss – Complete Operas” (33 CDs, Deutsche Grammophon) findet sich nahezu alles, was im Zusammenhang mit Strauss Rang und Namen hat. Etliche der Dirigenten, Instrumentalisten und Sänger standen in engem Kontakt zu Strauss und garantieren durch ihre persönliche Nähe eine Verbindung zu den musikalischen Absichten des Komponisten.
Wer sich über Strauss informieren will, der wird zudem fündig in dem fein gestalteten Booklet. Das Heft enthält einen glänzenden Überblicksessay zum Opernschaffen von Strauss aus der Feder des Musikschriftstellers Nigel Simeone. Zu jeder Oper gibt es gefällige Zusammenfassungen von unterschiedlichen Autoren, und illustriert wird das Booklet mit Fotos des Komponisten, die einem die Künstlerpersönlichkeit visuell näher bringen. Alles in allem: eine mit Sinn und Verstand komponierte Edition.