Mit Sibelius hat man es sich zu leicht gemacht. Der große Finne galt lange Zeit als ein alter Romantiker mit folkloristischen Neigungen.
Heute weiß man: Jean Sibelius ist viel mehr als das. Der introvertierte Komponist schöpft zwar aus den Tiefen der finnischen Volksmusik. Zugleich erweitert er jedoch den Klangspielraum des romantischen Gefühlsausdrucks erheblich und tut einen großen Schritt in die Moderne. Bei Sibelius findet man beides: ergreifende Melodien, die direkt zu Herzen gehen, und neuartige Klanggebilde, die den modernen Grenzgänger offenbaren. Der 1865 in Hämeenlinna im Süden Finnlands geborene Komponist hat eine ganz eigene Tonsprache entwickelt.
Bei ihm treffen nordische, folkloristische Elemente auf mitteleuropäische, romantische Formen. Hinzu kommt ein impressionistischer Zug. Sibelius war von den Klangexperimenten Debussys beeindruckt und lernte den französischen Komponisten auch persönlich kennen. Die Mischung ist von ureigener Qualität. Kein Komponist der Moderne hat erdige Volksliedkunst, romantisch-sinfonische Formen und neuartige Harmonien so eigenwillig verknüpft wie Sibelius. Und niemand sonst ist dabei so tief in die menschliche Seele eingedrungen.
Die in diesem Jahr zu seinem 150. Geburtstag erschienenen Jubiläumseditionen seiner Werke stellen dies eindrucksvoll unter Beweis. Allen voran seine großartigen Sinfonien, die ein breites Klang- und Stimmungsspektrum abbilden: von ausgedehnten poetischen Träumereien bis hin zu heftigen eruptiven Ausbrüchen, von neoklassischen bis hin zu modern anmutenden Harmonien.
Die spannungsgeladene Komponente der Sinfonien stellt Lorin Maazel brillant heraus. Seine meisterlichen Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern stammen aus den 1960er Jahren und sind 2015 in neuem Remastering erschienen. Sie liegen jetzt in der limitierten Deluxe-Edition “Sibelius: Die Sieben Sinfonien” vor. Die Ausgabe hat das Zeug zum Klassiker. Lorin Maazel ist ein wahrer Sibelius-Verehrer.
Kultstatus genießen seit jeher die Aufnahmen von Anthony Collins, die Decca 2015 als limitierte Vinyl-Edition auf den Markt gebracht hat. Die in den Abbey Road Studios neu remasterten Aufnahmen, die Collins in den Jahren 1952–1955 mit dem London Symphony Orchestra anfertigte, gelten als die beste Annäherung an die Klangvorstellungen des finnischen Komponisten. Collins stand noch in direktem Kontakt mit Sibelius.
Wer den Collins-Zyklus auf CD möchte, der greife auf die Sammlung “Sibelius: Great Performances” zurück, worin er sich neben anderen Mono- und frühen Stereoaufnahmen von Sibelius-Werken findet. Die Ausgabe lohnt sich aber auch aus anderen Gründen, kommt man hier doch in den Genuss der Jahrhundertstimmen von Kirsten Flagstad und Birgit Nilsson, die in hinreißender Form Lieder von Sibelius singen.
Wer den Gesamtüberblick schätzt, für den eignet sich die “Sibelius Edition”. Sie vereint die größten Kompositionen von Jean Sibelius auf 14 CDs und wartet mit Meisteraufnahmen Herbert von Karajans und Leonard Bernsteins auf. Eine besondere Perle dieser Edition sind die Aufnahmen von Anne-Sophie Mutter. Die große Geigerin birgt mit viel Geschick die virtuosen Violin-Kompositionen von Jean Sibelius.
Ein absolutes Highlight im Sibelius-Jahr war die Sammlung der Lieder des Komponisten, die ab 2015 erstmals vollständig in einer international erscheinenden CD-Ausgabe erhältlich sind. Decca gewann mit “Jean Sibelius: Sämtliche Lieder” einen Gramophone Award. Die limitierte Edition ist rundum gelungen, und wer romantische Lieder liebt, der sollte nicht zögern, sich diese herrliche Sammlung anzuschaffen.