Noch immer sind die Sinfonien Gustav Mahlers ein Prüfstein für gestalterische Kompetenz. Denn sie fordern nicht nur eine profunde Kenntnis von Zeit, Person und Werk des Komponisten, sondern auch eine deutliche Stellungnahme des Dirigenten zum Farb- und Facettenreichtum der orchestralen Dichtungen. Für Bernhard Haitink war es daher eine gute Gelegenheit, als er Anfang der Neunziger in der Umbruchsphase von Karajan zu Abbado die Möglichkeit hatte, sich mit den Berliner Philharmonikern Mahlers Sinfonien zu widmen. Es entstanden hochgelobte Aufnahmen, die nun auch auf DVD und in betörendem Surround-Sound erhältlich sind.
Bernard Haitink hat sein Handwerk von der Pieke auf gelernt. Am 4.März 1929 in Amsterdam geboren, studierte er als junger Mann Violine am Amsterdamer Konservatorium und ließ er sich darüber hinaus von Felix Hupka in die Grundlagen der Orchesterleitung einweisen. Seine erste professionelle Anstellung fand er als Geiger im philharmonischen Orchester des niederländischen Rundfunks und bildete sich nebenbei bei Ferdinand Leitner weiter. Mit dessen Hilfe bekam Haitink dann 1955 die Stelle des 2.Dirigenten der niederländischen Radio-Union angeboten. Diese Lehrjahre qualifizierten ihn soweit, dass er 1961 zum Nachfolger Eduard van Beinums als musikalischer Direktor des renommierten Concertgebouw-Orchesters ernannt wurde. Damit begann eine ausgiebige Zusammenarbeit mit dem Ensemble, denn Haitink behielt diese Stelle über immerhin 27 Jahre hinweg. Außerdem arbeitete er häufig mit den Berliner Philharmonikern, wurde 1967 zum Chefdirigenten und musikalischen Berater der Londoner Philharmoniker ernannt und zwei Jahre später sogar deren künstlerischer Leiter. Als 1979 ein Nachfolger für Sir John Pritchard an der Spitze des Festivals von Glyndebourne gesucht wurde, fiel die Wahl auf Haitink. 1988 wiederum quittierte er alle Verpflichtungen, um die Stelle des Musikalischen Direktor für Covent Garden zu übernehmen.
Es war in dieser Zeit, als auch der Plan entstand, Bernard Haitink zusammen mit den Berliner Philharmonikern einen Mahler-Zyklus erarbeiten zu lassen. Chance und Herausforderung zugleich, entstand auf diese Weise ein Reihe herausragender Aufnahmen, die die sensiblen Führungsqualitäten des Dirigenten ebenso dokumentierten wie die ungewöhnliche Präsenz eines Orchesters, das es gewohnt war, nur mit den Besten der Besten zu arbeiten. Haitink präsentierte sich bei allen fünf der auf drei DVDs erschienenen Aufnahmen als ein ebenso umsichtiger wie sensibler Interpret, der es verstand, zum einen die umfassenden Kommentare des Komponisten in die Interpretationen einfließen zu lassen, darüber hinaus aber jede Form von Schwüle und Mystizismus vermied. Dementsprechend begeistert war die Resonanz von Presse und Publikum, die diesen umsichtigen Umgang mit den Werke zu schätzen wusste. Inzwischen zählen Haitinks Dirigate zu den Referenz-Interpretationen der Gegenwart, die es mühelos mit anderen hochgelobten Einspielungen von Claudio Abbado bis Leonard Bernstein aufnehmen. Für die DVD-Versionen der Sinfonien 1 & 2, 3 und 4 & 7 wurden außerdem die Klang-Spezialisten der Emil Berliner Studios hinzugezogen, die aus den vorhandenen Originalbändern einen Surround-Sound (wahlweise PCM Stereo) entwickelten, der rund fünfzehn Jahre nach den Konzerten in der Berliner Philharmonie den Klangeindruck aus der Perspektive des Dirigenten in die Wohnzimmer holt. Das ist großartige Kunst, in interpretatorischer wie technischer Hinsicht.