Während der dreißiger Jahre, bevor es aufgrund beidseitiger Verstimmungen zu unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen Vladimir Horowitz und Arthur Rubinstein kam, verband die Meisterpianisten eine enge Freundschaft. Der Legende nach besuchte Horowitz Rubinstein oft in dessen Pariser Wohnung und spielte hier gern neue Ideen für seine Zugaben vor; ein Prozedere, welches Rubinstein insgeheim gelangweilt haben soll, traf dieser doch seine Auswahl von Stücken in Zugaben gern spontan.
Im Rahmen von Zugaben demonstrierte Horowitz seine atemberaubende Virtuosität nicht nur mittels halsbrecherischer Shownummern aus fremder Feder. Vielmehr knüpfte er an die Tradition der Virtuosen des 19. Jahrhunderts an, indem er eigene Transkriptionen anfertigte, die seine überragenden pianistischen Fähigkeiten ideal in Szene setzten. Er präsentierte sie oft in Zugaben, die mehr und mehr zu einem Programmteil wurden, den das Publikum mit ebensolcher Spannung erwartete wie das eigentliche Recital.
„Die perfekte Zugabe“
In Yuja Wangs persönlichem Pantheon nimmt Vladimir Horowitz einen besonderen Platz ein. So verwundert es nicht, dass sie für ihr neues Album “Fantasia”, auf dem sie einen Einblick in ihr den Zugaben vorbehaltenes Repertoire gewährt, auch zwei Transkriptionen des amerikanisch-russischen Pianisten ausgewählt hat: seine Klavierbearbeitungen von Saint-Saëns’ Danse macabre und Bizets Carmen.
“Ich hätte die CD fast ‘Meine Helden’ genannt”, gesteht sie und ergänzt: “Horowitz ist der vollkommene Pianist. Sein Spiel zieht den Zuhörer unweigerlich in den Bann, und wenn man ihn hört, hat man den Eindruck: Dieser Pianist spielt nur für mich, er spricht einzig und allein zu mir. Man hat das Gefühl, seine ganze Aufmerksamkeit gelte nur einem selbst, darum hört man ihm auch so aufmerksam zu. Es ist eine ganz intime Situation und das entspricht meiner Vorstellung von der perfekten Zugabe.”
Weit mehr als oberflächlicher Glanz
Welcher Art die Auswahl der Stücke einer Zugabe auch sein mag, wir erwarten vom Pianisten oder der Pianistin, dass sie darin die Idee vermitteln, es sei ihnen eine besondere und persönliche Freude, dem Publikum noch etwas mehr zu geben, etwas, das eine spezielle Bedeutung für die Interpreten hat. Und oft geschieht es, etwa im Fall eines bekannten Stücks als Zugabe, dass sie uns eine Deutung anbieten, die im Rahmen des regulären Recitals so nicht zu hören wäre.
Yuja Wang beschreibt ihr Ideal mit folgenden Worten: “Die Leute meinen immer, mit einer Zugabe wolle man nur glänzen. Doch für mich ist eine Zugabe ein kleiner Moment der Zärtlichkeit, der aus tiefstem Herzen kommt.” Über die persönliche Auswahl ihrer liebsten Miniaturen von Skrjabin, Rachmaninow, Chopin, Albéniz, Scarlatti und anderen auf “Fantasia” sagt sie: “Ich liebe all diese Stücke. Denn mit diesen Miniaturen kann ich eine Stimmung, einen Geruch, den Hauch einer Atmosphäre einfangen. Das macht diese Stücke aus, sie stehen für Erinnerungen, Hoffnungen, ähnlich wie ein Haiku.”